Rheingold
Schiff und wollten es gegen den Wind drehen, der es aber unnachgiebig vorwärtstrieb. Das Schiff legte sich von einer Seite auf die andere; im Kampf der beiden Kräfte knarrte und krachte das Holz. Das Segel drohte zu reißen. Harprecht kämpfte sich zu Sigfrid ans Ruder, legte die Hand an den Mund und schrie ihm etwas ins Ohr. »Was sagst du?« rief Sigfrid. »Wir müssen das Segel reffen!« Kalter Seetang peitschte Sigfrids Gesicht und legte sich ihm wie eine Schlinge um den Hals, als die nächste Welle über sie hereinbrach. Zornig riß er die glitschigen Ranken ab und warf sie ins Wasser. »Zieh es höher!« schrie er zurück. Als Harprecht den Kopf schüttelte, drückte Sigfrid ihm das Ruder in die Hand, sprang über das schwankende Schiff und zog das Segel höher, so daß es der Wind mit all seiner Macht erfaßte. Das Schiff schoß vorwärts, flog wie ein Speer über die dunklen Wellen, sein scharfer Bug teilte sie wie ein scharfes Messer. Jetzt schien der Sturm das Schiff ebenso zu tragen wie das Wasser. Es jagte ungestüm wie ein feuriges Pferd über das brodelnde Wasser. Sigfrid warf einen Blick zurück. Auf den anderen Schiffen hatten sie entweder aus Treue oder aus Verzweiflung die Segel ebenfalls voll gehißt, und sie schossen wie das Flaggschiff durch Regen und Gischt. Gelb weiße Blitze zuckten durch die Wolken und schienen sie vorwärtszupeitschen. Der Donner klang fern, aber er kam mit jedem Blitz näher.
*
Sigfrids Flotte lief den ganzen Tag vor dem Sturm. Es bestand keine Möglichkeit, den Kurs zu ändern. Keiner von ihnen wußte, welchen Weg sie nahmen. Die bläulichgrauen Gewitterwolken waren so undurchdringlich wie eine Wand. Hin und wieder kämpften sich Sigfrid und seine Männer über das Schiff, um etwas von dem gesalzenen Fisch zu essen oder ein paar Stücke hartes Brot. Regin hockte zusammengekauert und mit finsterer Miene zwischen den Vorräten; ein oder zweimal versuchte er, Sigfrid etwas zu sagen, aber seine Stimme war nicht laut genug und ging im Tosen von Wind und Wasser unter.
Land kam erst in Sicht, als die Wolken aufrissen und das Licht der untergehenden Sonne dunkelviolett im Westen aufleuchtete. Als das Schiff auf den Kamm einer Welle gehoben wurde, sah Sigfrid kurz, ehe es wieder in die Tiefe stürzte, hinter dem Schleier aus Hagel und Regen den hohen dunklen Schatten eines Felsens. Er griff wieder nach dem Ruder und nahm Kurs auf das Land. Seine Männer waren erschöpft. Er mußte versuchen, das Land zu erreichen. Dann waren sie gerettet. Beim Näherkommen sah Sigfrid, daß sie sich einer Insel mit steilen, überhängenden Klippen näherten. An den zerklüfteten und scharfkantigen Felsen würde jedes Schiff zerschmettern. Sigfrid signalisierte den anderen Schiffen, sofort abzudrehen. Ich muß die Insel umfahren, dachte er. Ich muß einen Platz finden, an dem wir anlegen können. In seiner Not rief er verzweifelt: »Wotan, Vater unserer Sippe! Zeige mir den Weg aus diesem Sturm!«
*
Sigfrid gelang es mit großer Mühe, die Steilküste zu umsegeln, doch er geriet dabei mit seiner Flotte immer weiter nach Westen. Mit zusammengekniffenen Augen spähte er durch die hohen Wellen und den regennassen Wind. Er mußte vor der Nacht eine sichere Zuflucht vor dem Sturm finden. Plötzlich glaubte er, ein Trugbild zu sehen, aber vor ihm ragte ein hoher Felsen auf. Er wirkte wie ein astloser Baum, der aus einem Stein mit dunkleren und helleren Schichten gemeißelt war. Auf dem Felsen stand über den tobenden Wogen eine Gestalt in einem weiten dunklen Mantel, der im Wind flatterte. Sigfrid sah, wie der Mann die Hände an den Mund legte. Dann hörte er eine tiefe rauhe Stimme durch den heulenden Wind. »Wer reitet die Rosse des Meerkönigs über die hohen Wellen? Mein Freund, deine Segel sind naß und dem Zerreißen nahe. Sie werden dem Wind nicht mehr lange widerstehen!«
Regin kroch wie eine Krabbe aus seinem Versteck und rutschte über das stampfende Schiff. Er bleckte die Zähne und starrte mit grimmigem Blick auf den Fremden, während er sich bis zur Bordwand vorkämpfte. Sigfrid wollte ihm gerade helfen, als das Schiff einen Satz nach vorn machte und den Schmied auf die Planken warf. Ohne den Blick von dem Mann zu wenden, raffte sich Regin schnell wieder auf und rief:
»Sigfrids Männer stehen auf den Meeresbäumen. Der Sturm will uns ins Verderben stürzen. Das Wasser schlägt über unseren Bug, aber die Sturzwellen sind unsere starken Pferde. Wer ist es, der da fragt?«
»Man
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