Rheingold
hatten den ganzen Tag mit dem Sturm gekämpft und abends genug getrunken, um sofort einzuschlafen. Wie konnte er heute von ihnen etwas anderes erwarten? »Eßt genug und ruht euch so lange wie möglich aus«, rief er der Mannschaft zu und stand auf, um sich eine zweite Portion zu holen. »Wir werden unsere ganze Kraft brauchen, wenn wir landen. Ich möchte die Hälfte von Lingwes Land erobern, bevor er seine Gefolgsleute zusammenrufen kann.«
Harprecht nickte grinsend. Perchtwin hatte sich weit genug erholt, um ein Stück Brot zu essen und etwas Bier zu trinken; er war immer noch bleich, sah aber schon wieder etwas besser aus. »Wie fühlst du dich?« fragte Sigfrid. »Ich bin bereit, jedem entgegenzutreten«, erwiderte er mit dem Anflug eines schwachen Lächelns. »Mein Magen schreit nach Rache.«
»Dazu wirst du bald genug Gelegenheit haben. Ich habe einen Plan ... Kommt alle mal her.« Mit Brotstücken zeigte Sigfrid seinen Kriegern die Schlachtordnung, die Fjölnir ihm erklärt hatte. Sigfrid teilte seine Männer ein, doch Oto zog die grauen Augenbrauen hoch, während er die Formation betrachtete.
»Ich glaube, ich habe davon schon einmal gehört«, sagte er. »Wie es heißt, gibt es nur einen einzigen Mann, von dem man diese Schlachtordnung lernen kann. Wenn Lingwe sie nicht kennt, haben wir vermutlich nichts zu befürchten.«
»Man soll die Schlacht nicht loben, solange sie nicht gewonnen ist«, sagte Ansbrand und zog den Wetzstein immer wieder über die Klinge seiner Wurfaxt. Er war von Geburt Franke, und obwohl er seit dreißig Jahren an Alprechts Seite kämpfte, benutzte er immer noch die Waffen seines Stammes. »Sigfrid, woher wissen wir eigentlich, wohin wir gehen müssen und was wir tun sollen? Das letzte Mal waren wir vor deiner Geburt hier oben im Norden.«
»Sobald wir an Land sind, werden wir herausfinden, wo die Söhne Hundings sind. Dann ziehen wir dorthin und plündern das Land, bis sie den Mut aufbringen, sich uns zu stellen«, erwiderte Sigfrid. »Wenn sie einem Kampf aus dem Weg gehen, sind sie Feiglinge und nicht wert, daß wir uns an ihnen rächen. Dann nehmen wir uns einfach das Gold und Silber.«
Ihm fiel auf, daß die Männer plötzlich erschrocken zum Himmel hinaufblickten. Einige wurden bleich und hatten die Augen weit aufgerissen. Harprecht steckte den Daumen in die Faust, um das Böse abzuwehren; Oto wich zurück und tastete nach dem kleinen Amulett, das er um den Hals trug. Die Männer auf den anderen Schiffen starrten ebenfalls in die Luft. Sigfrid schwieg verblüfft und folgte ihren Blicken.
Ein großer Schwan flog auf die Flotte zu. Aus seiner Brust tropfte Blut. Am blauen Himmel und im Licht der Morgensonne war er blendend weiß. Die strahlende Helligkeit des Gefieders brannte in Sigfrids Augen. Trotz der blutenden Wunde flog der Schwan kraftvoll und mühelos. Jeder Schlag seiner Schwingen wirbelte einen Windstoß in die Segel. Der Vogel umkreiste langsam die Schiffe, und seine Blutstropfen fielen auf die Planken. Ein dicker Tropfen traf Klodmar dicht unter dem linken Auge und zerplatzte auf der sommersprossigen Haut zu kleinen roten Spritzern. Der alte Mann fluchte vor Entsetzen, während er sich heftig das Blut von der Haut wischte. Auch auf den anderen Schiffen schrien Männer vor Schreck auf, die von Blutstropfen getroffen wurden.
Der Schwan umkreiste die Schiffe dreimal, ehe er in Richtung Norden davonflog und den Blicken entschwand. Klodmar stand an einem Faß mit Dünnbier, tauchte die Hände hinein und spritzte sich das Bier immer wieder ins Gesicht, bis Sigfrid ihn an den knochigen Handgelenken festhielt.
»Das reicht, Klodmar«, sagte er freundlich. »Du hast es abgewaschen.«
»Ich spüre es immer noch«, sagte der Krieger verwirrt. »Oh, es ...!« Er zögerte und erklärte dann laut und bestimmt: »Es war ein schlimmes Zeichen. Es war unser Blut, das auf die Schiffe gespritzt ist. Ich sage euch, wir werden in diesem Land alle fallen.« Die anderen Männer verbargen ihre Furcht besser. Aber Sigfrid sah sie unter der sonnengebräunten Haut blaß werden, und er wußte, wenn er nicht sofort widersprach, würden sie Klodmar glauben, und die Schlacht gegen Lingwe war schon jetzt verloren. »Habt ihr denn plötzlich Hasenherzen?« fragte er
lachend. »Ein Zeichen? Ja, das war es. Es ist nicht unser Blut, sondern das Blut unserer Feinde, das die Schiffe rot färben wird, noch ehe die Schlacht zu Ende ist. Klodmar, du hast doch schon in vielen Schlachten gekämpft! Du
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