Rheingold
Sigfrid eilte zum Waldrand voraus, um einen Blick auf das feindliche Heer zu werfen. Anshelm, Hildkar und Perchtwin folgten ihm. Im grauen Dunst des frühen Morgens sahen sie in der weiten Ebene eine riesige Horde von Männern auf Pferden und hinter ihnen im Dunst in dichten Reihen Lingwes Krieger.
»Berserker«, sagte Anshelm leise. »Lingwe hat Krieger zu Berserkern gedrillt. Sie werden wie Wölfe über uns herfallen.« Sigfrid spürte, wie auch seine getreuesten Krieger der Mut verließ. Hildkar war leichenblaß geworden, Perchtwin ballte die Fäuste, Ansheim hatte die Augen geschlossen und lauschte auf das unheimliche Heulen, mit dem die Berserker sich vor der Schlacht in Raserei versetzten.
Sigfrid legte beide Hände um das Schwert. Der glatte Kristall erfüllte ihn mit neuer Kraft. Ein heißer Strom floß durch seine Arme und befreite sein Herz von allen Zweifeln. Er glaubte wieder, Fjömirs Stimme zu hören, und rief: »Das dritte Zeichen! Der Fremde hat mir gesagt, wenn ich Wölfe im Wald heulen höre und meine Feinde sehe, bevor sie mich sehen, dann gehört mir der Sieg! Vorwärts, Männer! Vorwärts, stürzt euch auf sie!« Sein Blick sprang wie ein Blitz von einem zum anderen, und sie ließen sich von seiner Begeisterung mitreißen. Sigfrid setzte sich an die Spitze des Keils und stürmte den Abhang hinunter auf den Feind zu. Schon von weitem sah er das rote Banner mit dem Hundekopf im Wind flattern. Um das Wahrzeichen von Hundings Sippe scharten sich Männer in goldbeschlagenen Helmen und Kettenpanzern. Das mußten Hundings Söhne sein. In ihrer Mitte stand der alte Lingwe, ihr Anführer, und wartete auf ihn. »Für Wotans Rache und den Sieg!« rief Sigfrid, zielte auf Hundings Banner und warf den Speer. Der Wind hob ihn hoch in die Luft und trug ihn im weiten Bogen über die Streitmacht hinweg. Der Speer durchbohrte das Banner und flog weiter bis über die letzten Reihen der Feinde. Sigfrid stieß in das Horn seines Vaters und gab damit das Zeichen zum Angriff. Ein Pfeilhagel ging als Antwort auf sie nieder, aber die Pfeile fielen, ohne Schaden anzurichten, auf die Erde oder trafen wirkungslos die Schilde.
Sigfrid führte den Keil mitten unter seine Feinde, die wie eine hohe Flutwelle von einem schmalen Bug gespalten wurden. Gram wirbelte und blitzte, zuckte und schnitt. Die scharfe Klinge war in ihrem Element und verbreitete namenlosen Schrecken unter den Feinden, die Sigfrids Truppe in der geschlossenen Formation nichts anhaben konnten. Wie ein Ungeheuer mit zahllosen Armen, Beinen und Köpfen rammte der Keil die Fronten von Lingwes Streitmacht, walzte alles auf seinem Weg über das Schlachtfeld nieder, ohne sich selbst dabei die geringste Blöße zu geben. Sigfrid an der Spitze wählte das Ziel ihrer Angriffe, und niemand konnte sie aufhalten. Sigfrid hörte Hörner, die die versprengten Truppen zur erneuten Attacke riefen. Das rote Banner flatterte aufreizend im Wind. Dann sah er verzerrte Gesichter mit Schaum vor den aufgerissenen Mündern auf sich zu stürmen, und eine mordgierige wütende Meute wilder Kämpfer fiel über sie her. Aber das Geheul, das sie hervorstießen, ging im Geschrei und Getöse der Schlacht unter. Sigfrid warf sich von der Kraft seines Schwerts geführt mitten unter die Berserker und kämpfte um sein Leben. Die Berserker hatten ihn umringt. Auch wenn Gram sie getroffen hatte, schlugen sie noch auf ihn ein, bis kein Leben mehr in ihnen war. Aber der Keil durchbrach den tödlichen Ring, und Sigfrids Männer machten die Berserker nieder, die sich ihnen in den Weg stellten. Die Wut ihrer blutdürstigen Raserei half ihnen nicht gegen den Gleichklang und die Einheit von Sigfrids Truppe, und so wurden sie Mann um Mann aufgerieben, denn ihnen fehlte die Klarheit, um ihre wilde Kraft zu lenken. »SIGFRID!« riefen seine Männer immer lauter, während um sie herum die blutigen, zuckenden Leiber der Barbaren dem Tod geweiht sinnlos um sich schlugen, die schließlich sogar in ihrem Wahn übereinander herfielen, sich schrecklich verstümmelten und einen grausamen Tod starben. Sigfrid stürmte an der Spitze seiner Krieger weiter und bahnte sich mit Gram einen Weg durch Lingwes Reihen, die hinter den Berserkern als neue Kampflinie als Schutzwall vor ihrem Anführer standen. Über ihnen wehte stolz das rote Banner. Hin und wieder fielen blasse Sonnenstrahlen auf die Kämpfenden. Einmal glaubte Sigfrid, daß die Sonne direkt über ihm stand. Als die Wolken das nächste Mal aufrissen, sah
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