Rheingold
Platz neben seinem. Agilo pfiff anzüglich, ein paar andere Krieger johlten, und Sigfrid hörte, wie Harprecht, der sein verletztes Bein vorsichtig ausstreckte, kopfschüttelnd sagte: »Dabei könnte er doch...« Später folgte Odgers Tochter Sigfrid gehorsam in die Kammer des Drichten.
»Mach die Augen zu«, sagte Sigfrid. Sie stand in dem einfachen dicken Wollkleid ängstlich zitternd vor ihm. Aber ehe sie die Augen wieder öffnete, hatte Gram das Zeichen ihrer Knechtschaft, den eisernen Halsring, durchschnitten. Sigfrid bog ihn mit den Händen auseinander und warf ihn ins Feuer. »Oh!« stieß sie hervor und sah ihn mit großen Augen an. Sigfrid seufzte und wandte sich ab. In der Kammer stand ein richtiges Bett, aber es war viel zu kurz für ihn. Er nahm Felle und Decken und warf sie auf den Boden, um sich sein Lager zu machen. »Willst du, daß ich...«, fragte die junge Frau stockend. Sigfrid schüttelte den Kopf, ohne sie anzusehen. »Ich will nur noch schlafen«, sagte er.
An der Tür blieb sie stehen und drehte sich noch einmal um. »Wirst du jetzt hier herrschen, oder fährst du wieder weg?«
»Ich fahre ab, sobald das Wetter es zuläßt. Aber ich nehme alle mit, die mitkommen wollen.« Sigfrid zog die Tunika über den Kopf und warf sie auf den Hocker vor dem Feuer. »Geh jetzt.«
»Schlaf gut, mein Drichten und... danke.« Sie schloß leise die Tür hinter sich, und Sigfrid setzte sich nachdenklich auf den Boden. Er starrte gedankenverloren auf die ständig wechselnden Formen in der Glut unter den ersterbenden Flammen. Armringe und Goldmünzen aus feurigem Gold leuchteten geheimnisvoll auf und wurden zur Asche im Rhythmus seines Atems. Beim Einschlafen leuchtete das Gold in der Glut immer noch im Dunkel hinter seinen geschlossenen Lidern, und er glaubte, das Gewicht des reinen Metalls in der Hand zu spüren und in der Ferne den hellen Klang von Gold zu hören, das auf Gold fiel...
*
Die Stürme setzten ein, noch bevor der abnehmende Mond wieder zur Sichel geworden war. Das Wasser stieg und schäumte wie ein großer Kessel Bier, und eisige Schneeschauer trieben über die kochenden Wellen. Die große Halle auf dem Hügel, die nun Sigfrid gehörte, war beinahe wie eine Insel. Sigfrid konnte nicht an Aufbruch denken. Wie Regin prophezeit hatte, verbrachten sie auch das Julfest dort und warteten geduldig darauf, daß der Winter verging und sich Ägirs Zorn mäßigte.
Alle waren zufrieden, in der Halle zu sitzen und um Dinge zu würfeln, die sie als Beute gewonnen hatten. Nur Regin war nicht untätig. Der Schmied der Sachsen war in der Schlacht gefallen. Schon einen Tag nach Lingwes Tod stand Regin in der Schmiede und entzündete dort das Feuer. Er äußerte sich abfällig über die Werkzeuge des Toten, aber Sigfrid bekam ihn vor dem Julfest nur selten zu sehen. Sigfrid wollte sein Volk kennenlernen und mit den Menschen so vertraut werden wie einst sein Vater. Er sprach mit den Leuten und forderte sie auf, mit ihm in den Süden kommen. Außerdem suchte er nach einem Drichten, dem er das Land für diejenigen überlassen konnte, die zurückbleiben wollten -aber das waren nur wenige.
Am Julfest übergab Sigfrid zum ersten Mal als Drichten den Göttern und Göttinnen den Eber zum Dank. Er stand in der Mitte seiner Halle, wo früher einmal der Apfelbaum geblüht und Früchte getragen hatte, und hielt den Nasenring des großen Keilers fest, während seine Krieger und die Sachsen vortraten und den Juleid ablegten. Nur Regin blieb in einer dunklen Ecke neben seinem großen Sack sitzen, den er aus der Schmiede mitgebracht hatte. Sigfrid konnte sich nicht daran erinnern, den Zwerg beim Juleid und den anderen Ritualen während der heiligen Winternächte schon einmal gesehen zu haben.
»He, Regin!« rief Sigfrid, »du bist in meiner Halle ebensowenig ein Fremder wie ich. Du mußt dich nicht in einer Ecke verkriechen. Komm, Ziehvater, lege wie wir alle deinen Juleid ab. In meiner Halle gibt es für dich keine Feinde!«
Regin antwortete und bewegte sich nicht. Er musterte Sigfrid mißtrauisch mit seinen dunklen Augen, als glaube er, sein Pflegesohn mache sich über ihn lustig.
»Komm, Ziehvater«, wiederholte Sigfrid noch freundlicher, »von allen, die hier versammelt sind, bist du mir der willkommenste Gast. Beschäme mich nicht, indem du dich stumm von mir abwendest.«
Regin gab keine Antwort. Schweigen breitete sich in der Halle aus. Alle schienen mit angehaltenem Atem darauf zu warten, was der Zwerg tun
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