Rheingold
Nacht. Als Sigfrid die Nebelwände hinter sich ließ, ritt er über ein Feld mit funkelndem Rauhreif. Auf beiden Seiten erhob sich ein dunkler Wald.
Sigfrid stemmte sich gegen den eisigen Wind und rief: »Schneller, Grani! Schneller! Auf zum Wachenstein!«
Der sturmgraue Hengst jagte weiter. Die Mähne flatterte wie eine Fahne im Sturm, als er über eine Mauer setzte und in den Wald galoppierte. Im Mondlicht wirkten die knospenden Äste wie schattenhafte Skelette. Eulen flogen lautlos davon, als das große Pferd mit seinem Reiter über braunes Laub und morsches Holz stürmte. Sigfrid ritt durch den Wald, bis der Morgen im Osten dämmerte. Vor ihm erhob sich ein hoher bewaldeter Berg, auf dessen Kuppe feuriges Licht, das den Himmel anstrahlte, in allen Regenbogenfarben schimmerte.
Im Tal kam er zu einem dunklen See, der den Berg wie einen riesigen Burggraben umgab. Grani sprang ohne Zögern in den See. Seine Hufe ließen das Wasser aufschäumen. Sigfrid lachte, als ihm die eisigen Wellen über die
Beine schlugen. Wieder an Land galoppierte er durch die dunklen Tannen den steilen Hang hinauf. Im zunehmenden Licht funkelten die Nadeln der Bäume wie Millionen winziger Speere. Das Land schien unter der geheimnisvollen Macht der Frühlingsgöttin Ostara zu strahlen. Aus den Augenwinkeln sah Sigfrid weiße Lichtalben zwischen den dunklen Bäumen wie leuchtende Wolken schweben.
Schließlich erreichten sie eine hohe Wand aus weißroten Schilden. Die Flammen des goldenen Morgens umloderten die Felsenburg in den Farben des Regenbogens. Sigfrid glaubte, an einer Speerspitze ein Banner wehen zu sehen. Aber das Licht war zu hell, um das Wappen zu erkennen.
»Spring über die Schilde, Granit« rief Sigfrid, »ich möchte mich im Feuer dieses Lichtes reinigen, um dann vor meine Braut zu treten!« Er zog das Schwert und hob es beschwörend und voll Freude hoch. Grani sprang in fliegendem Galopp durch das Meer der läuternden Flammen. Sie schlugen über Sigfrid zusammen, verzehrten die letzten Spuren vom Kampf mit dem Drachen und trennten das Reine vom Unreinen. Ein Funkenregen in allen Farben des Regenbogens hüllte ihn ein, und sein Leib wurde in den zarten Farben wie gebadet. Der Hengst verlangsamte den rasenden Lauf und blieb hoch oben auf dem Berggipfel stehen.
Sigfrid blickte staunend auf den flachen Felsen und sah, daß der Regenbogen, der sich wie eine Brücke in den Himmel spannte, über einer Gestalt mit einem glänzenden Helm und einem Kettenpanzer über einem weißen Gewand stand. Sie lag halb verdeckt unter einem runden weißen Schild. Alles hier oben war still und klar wie in einer Welt aus glitzerndem Eis. Sigfrid konnte den Blick nicht von der Gestalt wenden. Der Schild hob und senkte sich langsam unter ruhigen Atemzügen. Der Kettenpanzer saß so eng, als sei er mit dem Körper verschmolzen.
Sigfrid sprang vom Pferd und kniete vorsichtig neben der schlafenden Gestalt nieder. Behutsam nahm er ihr den Helm vom Kopf und schob den Schild zur Seite.
Ein Blitzstrahl zuckte durch seine Augen und schien ihm den Kopf zu spalten. Er mußte sich stützen, um nicht zu fallen. Mit angehaltenenem Atem blickte er auf das Gesicht, das unter dem Helm verborgen gewesen war. Lange flachsblonde Haare umrahmten die ebenmäßigen Züge einer Frau, die schemenhaft immer wieder in seinen Träumen aufgetaucht war. Er kannte diese schrägen Wangenknochen, die hohe wie aus Marmor gemeißelte Stirn aus den Visionen von Siglind. Ja, vor ihm lag das Ebenbild von Sigmunds Schwester und Braut. Tränen flossen über Sigfrids Gesicht, als er auf die Schlafende blickte. Seine Hand lag zitternd auf Grams Knauf. Er erbebte vor namenloser Liebe und wagte nicht, sich zu bewegen. Er fürchtete, sie zu wecken und in ihre Augen zu blicken;
aber noch größer war seine Angst, sie würde nie wieder erwachen, und er müßte sterben, ohne daß sich seine Seele in den blitzenden Augen der Walküre entflammen könnte.
Sigfrid holte bebend Luft und hob das Gesicht zum strahlenden Himmel. Doch ehe er aufstehen und fliehen konnte, umfaßte er wie verzaubert Gram. Mit der scharfen Schwertspitze durchtrennte er den Stahl des Kettenpanzers, als sei er Stoff. Der schlanke weiße Leib umhüllt von dem weißen Kleid im hellen Licht der Sonne. Doch die Walküre schlief noch immer.
»Du hast schon zu lange geschlafen!« rief Sigfrid, »die Nacht ist vorüber. Erwache!« Langsam senkte er Gram und berührte sie mit dem Schwert zwischen den Brüsten. Die Spitze
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