Rheingold
damit eine Frau dich nicht täuschen kann. Dann siehst du wie Sinfjotli über Borghilds tödlichem Trunk das Gift als grünes Licht leuchten. Diese Rune hätte ihm geholfen, das Unheil abzuwenden. Zeichne Nauthiz auf das Horn, auf deinen Handrücken und auf deinen Fingernagel. Schlage das Zeichen über einen gefüllten Becher, um das böse Wirken der Feinde zu bannen, und halte Laguz über den Becher. Dann wird dein Met oder Bier oder Wein nie mit Gift gemischt sein.« Sie zeigte ihm die Rune Laguz, deren Kraft wie eine helle Quelle jeden Trank reinigen konnte.
»Sigmunds Sohn«, ermahnte sie ihn dann, »vergiß nicht diesen Rat: Zürne nicht denen, die dir einen Trunk mit bösen Absichten reichen, wie es mit Sicherheit geschehen wird!« Sie setzte ihm das Trinkhorn wieder an die Lippen. »Dies wird dir die Erinnerung bewahren, denn mein Rat soll dir in den Zeiten der Not helfen!«
Sigidrifa hielt jetzt einen Apfel in der Hand und drückte ihn an ihr Herz. Der rote Apfel leuchtete wie eine Wunde zwischen den weißen Brüsten. »Die Wälsungen haben mit ihrer Geburt oft den Tod gebracht. Unsere Kraft ist zu groß für den irdischen Körper, um uns das Tor zur Mittelerde zu öffnen. Ich nenne dir die Geburts-Runen, damit das Kind die Mutter verläßt, ohne ihr zu schaden. Uruz und Berkano. Die Ing Rune hilft dem Samen bei der Befruchtung, und Jera bringt die Frucht zur Reife. Ansuz ist die Rune von Wotans Kraft und schenkt unserer Sippe den Atem des Lebens. Sie bringt und geleitet die Seele von und zu den verborgenen Welten. Nimm diese Runen, damit du sie mir geben kannst, wenn ich sie brauche. Zeichne sie auf die Innenseite der Hand, auf den Handrücken und bitte dabei um die Hilfe der Idisen.« Die Walküre hob den Apfel und biß hinein, dann warf sie ihn in Sigfrids Horn. Er verschwand im dunklen Met, und als Sigfrid wieder trank, schmeckte der Met fruchtig süß, und er spürte, wie sich die Kraft seines Wesens mit dem Apfel der Wälsungen mischte.
Sigidrifa fuhr fort, Sigfrid zu unterweisen. Er lernte die Runen, um Schiffe vor Riffen zu schützen; sie zeigte ihm, wie er sie in das Steuer ritzen mußte und auf den Mast. Sie half ihm auch, mit den Runen die Kraft zu rufen, die Wunden heilte.
»Du wirst mit diesem Wissen den Menschen helfen können, wenn du die Runen schützt und ihre reine Kraft bewahrst«, murmelte Sigidrifa, »von großer Schönheit sind die Runen der Sprache, denn damit kannst du Haß in Freundschaft wenden, Wunjo öffnet dir die Herzen, Ansuz besänftigt das Gemüt, ist süß wie Wotans Met und Balsam für die Seele. Sieh her, das ist Mannaz, mit ihr kannst du allen Freude bringen. Winde diese Rune um dich, webe sie wie ein Netz, stelle sie auf beiden Seiten neben dich, dann kannst du deinem Volk in Zukunft Glück bringen und es vor Unheil bewahren.« Die Walküre legte die Hand auf den Kristall im Schwertgriff, dann sagte sie feierlich: »Ein Krieger wie du muß klüger sein als alle anderen. Greife nicht gedankenlos zur Waffe. Pertho und Berkano bewahren das Geheimnis der Dinge und bringen die Folgen der Tat ans Licht. Bedenke die Folgen, ehe du Blut vergießt. Denn wer Tod bringt, holt den Schatten der Nacht und schadet der Seele.« Sigidrifa legte Sigfrid die Arme um den Hals und drückte ihn an sich. Die Berührung war so zart wie die schneeweißen Daunen der Schwäne. Mit ihren Lippen streichelte sie sein Ohr und flüsterte: »Elhaz, die Leuchtende, bindet uns an Gebo und Dagaz, die Rune für diesen strahlenden Morgen. Vergiß sie nicht, denn dann wird mein Rat dich immer und überall begleiten. Wotan im dunklen Mantel hat diese Runen gesprochen. Er legte auf sie die Tropfen von Heitdraupnir aus dem Horn von Hrodofnir. Er stand auf dem Fels mit dem Schwert Brim in der Hand und hatte einen schützenden Helm auf dem Kopf. Dann tönte aus Mimirs Kopf der Weisheit das erste Wort und besänftigte das Toben und Brausen.« Sigfrid hatte das Gefühl, von ihren Worten wie auf den Schwingen eines Schwans in große Höhe gehoben zu werden. Er sah von weit, weit oben das Werden der Welten und die leuchtenden Runen, wie sie ihre Kraft gaben seit der Zeit, als der Weltenbaum Gestalt annahm. Sie brannten auf dem Schild, der Schutz bot vor den Strahlen der Sonne, auf den Ohren und Hufen von Arwaki und Alswith und glühten auf den verborgenen Rädern, die unter den Sternen von Wotans Wagen rollen. Sie funkelten auf Sleipnirs Zähnen und auf den kostbaren Zügeln. Die starke Bärentatze leuchtete hell
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