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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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... Lingheid, Vater«, flüsterte sie, »ich bin bei dir.« Sie beugte sich vor, legte ihm die Arme vorsichtig um die Schultern und achtete darauf, die Schwerter in seiner Brust nicht zu berühren. Er hustete, und Blut schoß ihm aus dem Mund. Er würde bald sterben.
    »Räche mich... das ist alles, was ich verlange, alles, was dir noch bleibt... versprich es...« »Vater...«
    Lingheid empfand eine beängstigende Klarheit und Leichtigkeit. Die flackernden Flammen warfen spitze Schatten um ihre Schwester und den am Boden liegenden Hreidmar; unter ihren Händen spürte sie das rauhe Gewebe seiner Tunika so deutlich, als habe sie noch nie im Leben Leinen angefaßt. Aber ihre Beine waren so gefühllos, als sei sie selbst verwundet, und als sei es ihr Blut, das den Rock tränkte. »Vater, ich kann meine Brüder nicht töten... was aus ihnen auch...« sie wollte sagen, geworden ist, verbesserte sich jedoch, » .. .was sie auch getan haben. Es sind meine Brüder. Nach Otturs Tod kann ich es nicht.«
    »Dann dein Sohn... oder wenn du eine Tochter hast... ihr Sohn. Meine Sippe muß mich rächen...«
    »Vater...«, flehte Lingheid. Hreidmar hustete wieder Blut, das im Feuerschein schwarz wirkte. Dann rang er erstickend nach Luft, und sein Kopf fiel zur Seite. Noch mehr Blut
    floß aus dem offenen Mund, und Lingheid wußte, er war tot.
    Sie hatte kein Gefühl dafür, wie lange sie dort saß, aber das Blut ihres Vaters war kalt auf dem Kleid und an ihren Beinen, als sie sich schließlich mühsam erhob. Lofanheid weinte nicht mehr. Sie hatte die Zähne zusammengebissen, und ihr rundes Gesicht war zu einer bleichen Maske erstarrt.
    »Man muß sie für vogelfrei erklären«, sagte Lofanheid zu ihrer Schwester. »Wir können unmöglich alles verheimlichen.«
    Lingheid sah die wilde Entschlossenheit und den übermenschlichen Willen im Gesicht ihrer Schwester. Plötzlich mußte sie daran denken, daß Lofanheid als junges Mädchen oft Dinge geträumt hatte, bevor sie geschahen. Sie erzählte diese Träume ihrer Schwester in der Stimme einer uralten Frau, und Lingheid war erleichtert gewesen, als die erschreckenden Visionen aufhörten. Insgeheim hatte sie gehofft, Lofanheid sei ihnen entwachsen. Aber jetzt wußte sie mit schrecklicher Gewißheit, daß Lofanheids verborgene Kraft wie eine Schlange im Winter nur eine Zeitlang geruht hatte. Sie spürte, wie die unheimliche, glühende Kraft wieder durch den Körper ihrer Schwester pulsierte und in ihr aufbrandete wie eine gewaltige Springflut. Aber Lingheid behielt in ihrer vernünftigen und praktischen Art die Beherrschung und sagte mit der gewohnten Entschlossenheit: »Wir könnten behaupten, diese Fremden hätten es getan...«
    Lofanheid blickte auf den glatten Griff von Regins Schwert und auf Fafnirs breite Klinge, die eine Handbreit aus dem Leib ihres Vaters ragten. »Ich glaube, das geht nicht. Nur dieser... Fuchs... hatte ein Schwert, und es war kurz und schmal. Außerdem haben sie Vater umgebracht, weil sie das verfluchte...«, sie schauderte, denn die Erinnerung an das überirdische Schimmern brannte immer noch in ihren Augen, » ... das verfluchte Gold für sich haben wollten. Möchtest du, daß sie zurückkommen? Sollen sie wieder hier in der Halle sitzen dürfen?«
    »Es sind unsere B rüder. . .« , protestierte Lingheid schwach. Aber sie begriff sofort, wie wenig das jetzt noch bedeutete. Sie dachte an die ausdruckslosen Augen, aus denen der Wahnsinn sprach, an die verzerrten Gesichter, als Fafnirs und Regins Schwerter sich im Leib ihres Vaters gekreuzt hatten, und sie wußte mit absoluter Sicherheit, sie würde beim Anblick ihrer Brüder jedesmal von neuem voll Grauen aufschreien.
    »Sie sind auf und davon«, sagte Lofanheid. »Sie sind weg, als seien sie tot, und überhaupt...« Sie ballte die Fäuste, trat vor die ältere Schwester und blickte ihr direkt in die Augen. Lingheid sah Lofanheids erstarrtes maskenhaftes Gesicht und erschrak vor der finsteren und unheimlichen Kraft, die ihre sanfte Schwester jetzt beherrschte. »Hör zu! Es hat kein Gold gegeben. Es war kein Gold, es war ein Zauber der Wanderer, der unsere Brüder in den Wahnsinn getrieben hat. Ja, das war es!«
    »Aber ich habe gesehen...«, widersprach Lingheid, verstummte jedoch erschrocken, als Lofanheids Hände ihre Schultern umklammerten. »Es kommt nicht darauf an, was du gesehen hast. Möchtest du, daß die Männer glauben, Fafnir und Regin haben unseren Vater aus Gold gier umgebracht? Möchtest du, daß

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