Rheingold
fesselten, und seine geflüsterten Worte machten ihre Ohren taub. So standen sie bis zum Morgengrauen wie erstarrte Trolle, und erst das Licht des neuen Tages löste den Bann. Aber in dieser Nacht wurden in der Halle alle Fäden des Schicksals unauflösbar gesponnen, so wie Wotan es vorgesehen hatte.
Hreidmars Atem ging schnell und stoßweise, als er sich langsam dem Schatz näherte. Je länger er auf das Gold starrte, desto heißer schien das metallische Feuer in seinem Körper zu brennen und seine fiebernde Gier zu wecken. Ihm war kaum bewußt, was er tat, als er vor dem Gold auf die Knie fiel und mit den Händen darin wühlte. Die Ketten, Münzen und Barren fielen klirrend durcheinander. Ein Ring landete mit einem durchdringenden hohen Ton auf einem Stein und rollte davon. Hreidmar raffte den Schmuck zusammen, schob ihn wieder auf den Haufen, setzte dabei aber nur eine Lawine klimpernder Goldmünzen in Bewegung.
Lofanheid preßte die Faust auf den Mund, biß sich auf die Knöchel und starrte voll Entsetzen auf ihren Vater. Auch sie hörte das hell klingende Tönen des Goldes, aber es erfüllte sie mit Angst, denn sie ahnte, mehr als daß sie es hörte, das tiefe unheimliche Donnergrollen wie von einem riesigen Gletscher, der sich vorwärtsschiebt, oder von einer Schneelawine, die unaufhaltsam und todbringend einen Berg hinunterrollt.
Lingheid geriet in Panik, als sie die entstellten Gesichter ihres Vaters und ihrer Brüder sah. Sie hatte mit aller Kraft versucht, die Ruhe zu bewahren, seit die schrecklichen Fremden das blutige Otterfell in die Halle brachten und Fafnir nur noch trank, weinte und fluchte, bis er heiser war und sie spürte, wie er langsam den Verstand verlor; sie hatte Mitleid mit ihrem Vater gehabt, der die Zähne zusammenbiß, in sein Trinkhorn starrte, mit leerem Blick in die Flammen stierte und dann wieder in das Horn; auch Regin tat ihr leid, der
in haßerfülltem Schweigen an seinem Kummer zu ersticken drohte. Ihre Schwester war keine große Hilfe gewesen. Sie wälzte sich von Alpträumen geplagt, schreiend und klagend im Bett, das sie teilten, hin und her, sah Blut auf dem Laken, erschlagene Kinder und die Halle in Flammen, bis Lingheid sie am liebsten selbst umgebracht hätte, um endlich etwas Ruhe zu finden. Und nun schien plötzlich alles, was ihre Welt gewesen war, endgültig in Trümmer zu gehen, zu brennen und zu bersten. Sie konnte der immer größeren Wellen der Panik nicht mehr Herr werden, auch wenn sie die Fingernägel in die Handflächen preßte, bis sie bluteten.
Plötzlich schrie Lofanheid ihren Vater an: »Aufhören!«
Der schrille Schrei ließ ihn zusammenzucken, und er hörte auf, wie ein Wahnsinniger nach den rollenden Goldmünzen zu greifen. Noch immer kniend drehte er den Kopf und sah sie rasend vor Zorn an. »Vater«, schluchzte sie, »du machst mir Angst... Sie sind gegangen, und das Wergeld ist bezahlt. Wir müssen jetzt das tun, was wir Otturs F.. . Fell schuldig sind. Es ist genug Gold, um ihm einen Scheiterhaufen zu geben, wie es einem echten Edelmann gebührt. Du wirst dann immer noch der reichste Mann am Rhein sein... bitte...«
Einen Augenblick hob sich der Schleier des Wahnsinns von Hreidmars Gesicht, und er sah seine Tochter wieder mit den offenen Zügen an, die sie an ihm kannte. Nur auf seiner Stirn stand eine Sorgenfalte. »Das Gold verbrennen? Was redest du da, Kind? Wergeld ist für die Lebenden, und das hier ist nur eine Hülle, die dein Bruder trug. Es wäre lächerlich, dafür einen richtigen Scheiterhaufen zu errichten.«
»Aber mehr haben wir nicht mehr von ihm. Und wir sollten...«
Lofanheids Stimme versagte, als Hreidmar sich wieder dem Gold zuwandte.
»Wir sollten das Wergeld verteilen«, sagte Regin heiser und näherte sich gierig dem Schatz; er stand wie sein Vater im Bann des glitzernden Goldes. »Jeder von uns bekommt einen Teil. Das verlangt das Gesetz, nicht wahr?«
»Jeder einen Teil?« fragte Hreidmar, ohne den Kopf zu heben und strich weiter zärtlich über das Gold. »Aber wir werden den Hort doch nicht auseinanderreißen! Wohin wollt ihr denn gehen? Selbst mit eurem Anteil an diesem Gold fehlt euch eine Schar erprobter Krieger.
Nein, wir sollten besser zusammenbleiben. Folgt eurem Vater wie bisher, und ich werde unseren Schatz zum Wohl aller verwalten.« Fafnir bückte sich und hob etwas auf. Die flackernden Flammen auf dem Gold leuchteten jetzt kalt und rot wie ein Sonnenuntergang im Winter auf der stählernen Klinge eines
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