Rheingold
Sigfrid nahm den Dolch und fuhr damit fest über sein Handgelenk. Die Klinge streifte über die Haut wie ein harmloses Blatt. Er schob den Dolch in die Scheide, ging zu einem der brennenden Feuer und griff hinein. Als er die graue Asche von der Hand blies, lag eine glühende Holzkohle darin.
»Wie eindrucksvoll«, zischte Krimhild, »dich kann also nichts verletzen?«
»Nichts, wovon ich wüßte.« Sigfrid warf die glühende Holzkohle wieder ins Feuer. Er ging zu seinem Platz zurück und hob sein Glas. »Alles, was ich habe, ist für Gudrun. Denn erst jetzt bin ich der edelsten und schönsten aller Frauen würdig. Ich trinke auf meine Verlobte! Ich trinke auf sie und auf unsere Hochzeit!« Als er das Glas auf den glatten Eichentisch stellte, fragte er: »Wann kann die Halle für die Hochzeit bereit sein?«
Krimhild wich Sigfrids Blick aus. »Nur mit der Ruhe, Sigfrid«, erwiderte sie, »so berühmt und stark du auch sein magst, gewisse Dinge müssen in der richtigen Weise geschehen.«
»Welche Dinge? Sag mir, welche, und ich schwöre dir, ich werde alles tun, damit unsere Hochzeit so bald wie möglich stattfinden kann.«
»Du bist mit dem Schwören schnell zur Hand«, murmelte Krimhild, »man kann kaum glauben, daß Regin dein Ziehvater war.«
»Was muß ich tun?« wiederholte Sigfrid noch drängender. Er sprang auf und blickte auf die hagere Frau hinunter. Krimhild legte den Kopf zurück, bis der aufgesteckte Zopf ihren Nacken berührte. »Setz dich bitte, Sigfrid«, sagte sie und wies auf seinen Platz. »Wir haben bestimmt genug Zeit, um über alle Fragen zu sprechen. Aber heute feiern wir deine Rückkehr und deine Heldentaten.«
»Wenn es nach mir ginge, würde die Hochzeit heute abend sein«, erwiderte Sigfrid, »sag mir doch wenigstens, wann sie stattfinden kann.« Krimhild drehte den Kopf in die andere Richtung und betrachtete nachdenklich Gudrun. Sigfrid sah, wie Gudruns Knöchel weiß wurden, als sie die Fäuste ballte und herausfordernd den Blick ihrer Mutter erwiderte. Die beiden Frauen begannen leise, aber erregt miteinander zu sprechen. Sigfrid verstand ihre Worte in dem allgemeinen Lärm in der Halle nicht, bis Gudrun empört rief:
»Davon hast du bis jetzt kein Wort gesagt! Das ist ja...«
Krimhild legte ihrer Tochter die Hand auf die Schulter, die Gudrun heftig abschüttelte. Giselher flüsterte Gernot zu: »Sieh dir das an! Sie streiten sich schon wieder. Ich glaube, diesmal wird es ernst...«
Gudrun sprang auf und stemmte die Hände in die Hüften. Mit hochrotem Gesicht und funkelnden Augen erklärte sie: »Ich werde nicht länger warten! Wenn du es ihm nicht sagst, dann werde ich sprechen, so wahr mir Frija helfe!«
Sigfrid sah, wie Krimhild seufzte. »Gunter, sag deiner Schwester, sie soll sich setzen, damit wir in einer angemessenen Weise über die Angelegenheit sprechen können«, befahl sie ihrem Sohn. Sigfrid blickte Gudrun in die Augen. »Wir werden bald heiraten, das verspreche ich dir.« Aber seine Stimme bebte, denn bei ihrem Anblick überkam ihn die ihm fremde Leidenschaft aufs neue. Gudrun erwiderte seinen Blick und senkte dann den Kopf. »Schwörst du das?« fragte sie leise, und Sigfrid glaubte, ohne sie nicht länger leben zu können.
»Ich schwöre es«, erwiderte er mit trockenem Mund, »glaubst du mir nicht?«
»Ich glaube dir«, erwiderte sie, und er empfand wieder dasselbe Schwindelgefühl wie nach dem Willkommenstrunk, den sie ihm gereicht hatte. »Aber ich habe schon so lange gewartet«, fügte sie leise hinzu, »und ich bin nicht sicher...«
Krimhild legte die Hand auf Gudruns Arm und zog sie auf ihren Platz. Diesmal wehrte sich Gudrun nicht.
»Meinetwegen«, sagte Krimhild, »je früher wir darüber reden, desto besser. Wir haben uns beraten und sind der Meinung, es ist nicht angemessen, wenn Gudrun verheiratet ist, während Gunter keine Königin hat, die ihm Erben schenkt. Deshalb müßt ihr beide, Gudrun und Sigfrid, warten, bis Gunter die Tochter Theoderids geheiratet hat.«
»Aber wann soll das sein?« fragte Sigfrid.
»Wir haben ihrem Vater bereits einen Boten geschickt, aber Gunter muß zur Verlobung bei Theoderid erscheinen. In solchen Dingen können die Verhandlungen mit den neuen Föderaten durchaus schwierig sein. Wir meinen, Gunter soll bald aufbrechen, obwohl wir den Tag dafür nicht festgesetzt haben. Wir suchen noch die richtigen Gefolgsleute, deren Abstammung und Ruf als erprobte Krieger die angemessene Begleitung sind.«
»Brechen wir am
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