Rheingold
in den nächtlichen Himmel hinauf. Der Rhein glänzte als dunkelgrüner Streifen einer schimmernden geheimnisvollen Kraft, wo dunklere Wesen hausten. Der Falke sah Menschen in den Straßen von Worms und auch einen Fuchs, der im Ufergras einem Hasen nachsetzte. Sigfrid kreiste höher. Er neigte die Flügel ein wenig, um sich vom Wind nach oben tragen zu lassen, und sah den Schnee auf den Gipfeln der Berge im Süden. Es wäre nicht weit, nach Hause zu fliegen, dachte er. Er könnte Alprecht und Herwodis besuchen und ihnen sagen, daß es ihm gutging und er noch lebte.
Er flog mit kräftigen Flügelschlägen am Rhein entlang. Der Wind fuhr durch sein Gefieder und umbrauste ihn wie Wasser beim Schwimmen gegen die Strömung. Unter sich sah er die Grenzsteine von Gunters Sümpfen, als er hörte, wie in der Ferne eine Stimme seinen Namen rief.
»Sigfrid!« rief Krimhild zum ersten Mal; er hielt inne und schwebte in der Luft. »Sigfrid!« rief sie noch einmal, und er ließ sich nach unten fallen, schoß durch den Himmel und glitt auf die Lichter in Gunters Burg zu. »Sigfrid!« Er kehrte blitzartig in seinen Körper zurück, rang heftig nach Luft und legte seine Hände auf die schmerzende Brust. Sigfrid blinzelte mit den Augen, da ihn die Flammen des Feuers blendeten.
Krimhild strich über seine Stirn, nahm ihm vorsichtig die Tarnkappe ab und legte sie auf den Tisch. Er setzte sich auf und richtete den Blick auf sie. »Warum hast du mich so schnell zurückgeholt?« fragte er und hatte noch immer das Brausen des Windes in den Ohren. »Ich wollte...«
»Du warst bereits zu weit«, erwiderte sie freundlich, »du bist zwar stark, Sigfrid, aber du darfst dich in solchen Dingen nicht überanstrengen.«
Sie füllte noch einmal sein Glas und reichte es ihm. Sigfrids Sinne waren noch ungewöhnlich scharf. Der Geruch des starken aromatischen Weins drang ihm in die Nase, und ein Schluck rann ihm durch die Kehle wie hundert Flaschen. Langsam verebbte das Klopfen in seiner Brust, und er konnte wieder mühelos atmen. »Du solltest das in den nächsten Tagen nicht wiederholen«, riet ihm Krimhild, »es wäre das Beste, du wartest damit, bis du aus Toulouse zurückgekommen bist. Dann kann ich aufpassen, bis du etwas mehr Übung hast. Wenn du sehr vorsichtig und umsichtig bist, kannst du unterwegs üben, nur deine Erscheinung zu verändern. Aber du mußt sicher sein, daß niemand etwas bemerkt, es sei denn, besondere Gründe zwingen dich dazu, dein Geheimnis preiszugeben. Hast du mich verstanden?«
Sigfrid dachte daran, wie sich viele verstohlen ansahen, wenn Krimhilds Name fiel. Er erinnerte sich an die förmliche Zurückhaltung von Alprecht, Chilpirich, Herwodis und Perchte, wenn sie von der Burgunderkönigin sprachen. Er glaubte das jetzt sehr gut zu verstehen. Niemand sagte in aller Offenheit, sie sei eine Hexe, aber das Wort verband sich mit ihrem Namen wie mit einer Natter, die in einem hohlen Ast lauert. Und es gab schlimmere Ausdrücke für Männer und Frauen, die solche Zauberkräfte besaßen und ausübten. »Ich werde vorsichtig sein«, versprach er.
Krimhild stand auf und ging zur Tür. »Ich glaube, du weißt jetzt alles, was du wissen mußt.«
*
Gunter ging mit Sigfrid zu dem Stall, in dem Grani stand und den Goldschatz bewachte. Vor dem Tor erwartete sie Hagen. Er war in einen dunklen Umhang mit Kapuze gehüllt. Vor ihm auf dem Boden lag ein Stapel mit Säcken.
»Wir bringen den Schatz in eine unterirdische Felsenkammer dicht am Rhein. Sie stammt noch von den Römern, und nur ich kenne sie«, flüsterte er.
Sigfrid und Gunter nahmen die Säcke und betraten mit Hagen den Stall. Grani schnaubte, aber Sigfrid legte ihm beruhigend die Hand auf die Nüstern. Hagen entzündete eine Fackel, und dann begannen sie, das Gold in die Säcke zu füllen.
»Du darfst die Säcke nicht so voll machen«, sagte Hagen zu Sigfrid, »die Nähte reißen sonst unter dem Gewicht.« Er verließ leise den Stall. Es dauerte eine Weile, dann kam er mit zwei Pferden zurück. Hagen verschwand wieder und brachte noch zwei Pferde in den Stall. Sigfrid mußte die Säcke auf die Pferde heben, wo sie Gunter und Hagen mit Gurten befestigten. Sie führten die Pferde aus dem Stall und gingen langsam auf der Rückseite der Halle durch den Garten zu einem Seitenausgang und erreichten einen gewundenen Pfad zum Rhein. Es war eine dunkle Nacht. Sigfrid sah das Ufer nicht, er hörte nur das Gurgeln und Plätschern der Wellen. Wölfe heulten in der Ferne,
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