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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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Dann fließt die Kraft in die neue Seele, bis sie wie bei Fafnir hier im Ring der Mittelerde zu etwas Wirklichem geworden und dein menschlicher Körper zu einem Skelett ausgezehrt ist.«
    Sie schwieg und sah Sigfrid fragend an. Er nickte stumm, und Krimhild fuhr fort. »Aber vielleicht möchtest du einmal nur dein Aussehen verändern. Dann tust du dasselbe. Aber du verläßt deine Seele nicht, sondern gibst der Form, die du annehmen willst, mehr und mehr Kraft, indem du deine Gedanken auf die Veränderung richtest. Je besser du dich konzentrieren kannst, desto schneller zeigt sich das in deinem Körper, bis deine eigene Gestalt schließlich völlig verborgen ist. Du wirst dann hören und sehen, wie es dem Wesen entspricht, das du gewählt hast, aber du kannst nichts tun, was für dich als Mensch unmöglich ist, denn nur dein Körper ist unsichtbar, aber er ist nicht verändert. Du kannst wie ein Vogel aussehen, aber nicht fliegen. Du kannst ein Fisch im Wasser sein, aber du würdest ertrinken. Es ist leicht, das Aussehen eines anderen Menschen anzunehmen, aber sehr viel schwieriger, zu etwas anderem zu werden.«
    Sigfrid nickte und wollte nach der Tarnkappe greifen, aber Krimhild hob die Hand.
    »Die dritte Möglichkeit, die dir die Tarnkappe bietet, ist der vollständige Wandel. Wenn du deine Seele veränderst oder dein Aussehen und das lange genug, dann wirst du nicht mehr derselbe bleiben. Aber das dauert oft länger, als dir lieb ist. Ich glaube, dieser Art Verführung wirst du nicht erliegen. Trotzdem mußt du immer sehr gut auf dich aufpassen, wenn du den Ring der Mittelerde verläßt und durch die Welten wanderst, sonst kann es geschehen, daß du nicht wieder als Mensch zurückkehren kannst.«
    Krimhild schwieg und trank den Wein, der schwarz und unergründlich wie ihre Augen zu sein schien. »Und das ist alles? Könnte ich es jetzt versuchen... ?«
    »Ja, das kannst du. Wenn du möchtest, werde ich darüber wachen, daß du sicher wieder zurückfindest.«
    Sigfrid wollte das Angebot ablehnen, aber dann dachte er, vielleicht sei es doch ratsamer, jemanden zu haben, der die Macht der Tarnkappe kannte und ihm beim ersten Mal beistehen würde. Er nickte deshalb und zog die Tarnkappe über den Kopf. Die goldene Scheibe mit dem Rad der acht Dreizacke lag auf seiner Stirn über den Augen. »Es wäre besser, du würdest dich hinlegen«, sagte Krimhild, und ihre Stimme hallte plötzlich so laut wie der schrille Schrei eines Vogels. »Leg dich auf das Bett und schließe die Augen«, befahl sie ihm.
    Sigfrid legte sich auf den Rücken und streckte die Beine aus. Er konzentrierte sich. Irgendwo in seinem Bewußtsein fiel ihm auf, daß das große Bett wohl eigens für ihn gemacht worden war. Aber der Gedanke verblaßte bereits unter der Welle der Kraft, die durch seinen Kopf wogte und gegen das Gold auf seiner Stirn zu branden schien. Er spürte seine Arme nicht mehr, die zu langen Federn wurden, seine Füße verwandelten sich in gefährlich spitze Krallen, Nase und Mund wurden zu einem großen Schnabel, während seine Gestalt schrumpfte und zu der eines Falken wurde. Er erinnerte sich an Krimhilds Worte, richtete seine Gedanken auf die neue Gestalt und spürte mit Verwunderung, wie die Kraft aus der Tarnkappe zu strömen schien, bis er seinen menschlichen Körper nicht mehr fühlte. Er schlug die weitsichtigen Augen auf und sah vor sich verschwommen Krimhilds Gestalt. Sigfrid öffnete den Schnabel und stieß einen triumphierenden Schrei aus. Er wußte, daß dort auf dem Bett sein Körper liegen mußte, ein unsichtbarer Faden schien ihn daran zu binden.
    »Gut gemacht, mein goldbrauner Falke«, sagte Krimhild. Für Sigfrids Falkenohren sprach sie unnatürlich laut und schrill. Ihren Körper umgab ein unruhiger Glanz von rötlichem Gold mit dunklen grünen Blitzen. »Du kannst jetzt deinen Körper hier zurücklassen und fliegen. Aber sei vorsichtig und fliege nicht zu weit. Wenn du nicht von selbst zurückkommst, wirst du kommen, wenn ich deinen Namen dreimal rufe.«
    Sigfrid breitete die Flügel aus und flog auf. Die Mauern waren kein Hindernis für den Falken. Sein menschlicher Körper blieb auf dem Bett zurück. Der Vogel schwebte einen Augenblick lang in der Luft und betrachtete den großen Mann, der dort still wie eine Statue lag. Seine Brust hob und senkte sich kaum merklich, verriet aber, daß er noch lebte. Die goldene Scheibe lag wie ein schwarzes Loch auf der Stirn.
    Er schlug mit den Flügeln und glitt mühelos

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