Rheingold
kleines Kind auf den Arm nahm. Er beugte sich zu ihr hinunter und zum ersten Mal wurde ihm bewußt, wie komisch das war (wenn sie doch wenigstens so groß wie Brünhild wäre, mußte er unwillkürlich denken).
»Hilf jetzt meinem Bruder«, sagte Gudrun zu Sigfrid, als er sich wieder aufrichtete. Sigfrid nickte, nahm den Hocker und stellte ihn vor die andere Säule. Gunter mußte immer noch lachen, während er auf den Hocker stieg.
»Paß auf, sonst bringst du die Halle noch zum Einstürzen!« rief ein Burgunder. Gunter hielt sich den Bauch vor Lachen. »Alles... deine Schuld... Sigfrid...«, stöhnte er und zog sein Schwert.
Der Burgunderkönig mußte immer wieder husten, richtete sich auf, versuchte ernst zu bleiben, mußte aber wieder lachen. Dann nahm er sein Schwert in beide Hände und machte ein übertrieben verbissenes Gesicht. Er holte mit aller Kraft aus, denn er wollte die Klinge unbedingt bis zum Heft in die Säule stoßen. Bei diesem Anblick mußte nun Sigfrid plötzlich lachen.
Gunter lachte mit, und die Klinge rutschte von der Säule ab. Wütend holte er noch einmal aus und stieß die Klinge tief in das Holz. »Das bedeutet Eheglück und viele Kinder! So muß man das machen!« Er sprang unter dem Jubel der Männer vom Hocker und ging zu seinem Platz zurück, wo Brünhild ihn schweigend mit einem Becher Bier erwartete. Die Tür zur Küche ging auf und zwölf kräftige Knechte trugen riesige Platten mit dem gebratenen Fleisch der geopferten Tiere herein. Sie liefen einmal um die Halle und dann stellten sie das knusprig gebratene und mit Äpfeln und Nüssen gefüllte Schwein auf die Tafel der Brautleute.
Hagen erhob sich und stieß den Speer auf den Steinboden, bis es in der Halle ruhig wurde. »Wer beansprucht die Heldenportion?« rief er. »Wer hat in diesem Jahr die größte Tat vollbracht?«
Hagens graues Auge funkelte kalt, als er sah, daß alle auf Sigfrid blickten. Über zweihundert Augenpaare starrten auf den Drachentöter, der in den Liedern der Sänger landauf, landab als der größte Held gefeiert wurde.
Sigfrid wollte sich erheben, aber in diesem Augenblick sah er, daß nur Brünhild nicht ihn ansah, sondern Gunter triumphierend anblickte. Sigfrid dachte an ihre Worte auf der Burg. Wenn er sich jetzt als den größten Helden feiern ließ, dann konnte sie Gunter als Lügner beschimpfen. Schnell setzte er sich wieder und lehnte sich schweigend zurück.
Es dauerte eine Weile, bis der Burgunderkönig aufstand und das Messer nahm, das neben dem Eber lag. »Ich beanspruche die Heldenportion«, erklärte er mit rauher Stimme, »denn ich habe Brünhild als meine Braut gewonnen, obwohl sie in einem Feuerring eingeschlossen war, den nur der größte aller Helden überwinden konnte. Wer erhebt Einspruch dagegen?«
In der Halle war es so still, daß der Regen auf dem Dach so laut wie Hagelkörner hallte. Die Männer beugten sich mit angehaltenem Atem vor und warteten darauf, daß Sigfrid, der
Drachentöter, sich erhob. Gudruns Hand drückte seinen Arm. Sie zitterte, und er wußte nicht, ob sie ihn zurückhalten wollte, oder ob sie hoffte, er werde seinen Anspruch geltend machen.
»Wer erhebt Einspruch?« fragte Gunter noch einmal mit bleichem Gesicht. Er blickte starr geradeaus, ohne Sigfrid anzusehen. Sigfrid biß die Zähne zusammen und dachte, ich muß nur durchhalten, dann ist alles bald vorbei!
»Ist jemand hier, der als Held höher steht als ich?« rief Gunter mit einer Stimme, die sich beinahe überschlug. »Zweifelt jemand an meinem Recht?«
Gunter blickte flüchtig auf Brünhild, die wie zu Eis erstarrt neben ihm saß. Sigfrid rührte sich nicht und hoffte nur, niemand werde wagen, sich zu erheben, um für ihn zu sprechen. Der Burgunderkönig stieß zischend die Luft aus. Tiefe Falten zogen sich über seine Stirn, aber hoch aufgerichtet rief er dann: »So soll es denn sein!« Die Burgunder und Westgoten jubelten, aber die Alemannen murrten unzufrieden. Sigfrid vermied, Echmars finsteren Blick zu erwidern oder Hartbrecht anzusehen. Er blickte auf den Tisch, denn die Enttäuschung seiner Männer schmerzte ihn sehr. Er wußte, sie fühlten sich von ihm im Stich gelassen, und sie würden ihn später zur Rechenschaft ziehen. Aber was hätte er tun sollen?
Die Spannung legte sich langsam, es wurde wieder gelacht und geredet, als Gunter das Messer in die knusprige Haut des Bratens stieß. Sigfrid lief bei dem köstlichen Duft das Wasser im Mund zusammen.
Nachdem Gunter die erste Portion auf
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