Rheingold
durch das Holz der Saft geflossen, und der Stamm hatte Äste und Zweige getrieben. Das Leben war noch immer da, Blatt und Ast, aber verborgen unter den Schichten der Jahre. Sigfrid sah die
geisterhaften Gestalten. Er holte dreimal tief Luft und begann, die heilenden Runen zu singen, die er bei Sigidrifa gelernt hatte, und ritzte sie in den Pfosten. Uruz, die Auerochsen-Rune ritzte er dreimal für Gesundheit und Kraft, dreimal auch Nauthiz, die Kraft in der Not, das schräge Kreuz am Rundstab des Notfeuers, und dreimal Berkano, die Rune der Frowe, der Birkengöttin, damit sie Gudruns blutenden Leib heilen und fruchtbar machen würde.
Der Galdor-Gesang der Runen erhob sich im heilenden Wind von Sigfrids Atem, als er das Leinen zurückzog und die Dolchspitze in das dunkle Blut tauchte, um damit die Runen rot zu färben. Er sah, wie die eckigen Formen mit einem unsichtbaren Feuer brannten, als er Gudruns Hände vorsichtig hob und ihre Finger um die Bettpfosten legte. Sigfrid fühlte ihren Puls. Er schlug langsam und schwach, aber regelmäßig. Er wußte, die Wunden würden heilen, sie würde leben und ihm Kinder gebären.
Tücher und Gewänder lagen auf dem Tisch neben dem Bett, eine Schüssel und Krüge mit kühlem Wasser standen daneben. Sigfrid sah auch die Pokale und den Glaskrug mit Met, das Geschenk von Herwodis und Alprecht. Vorsichtig zog er unter Gudrun das Laken weg und warf es in eine Ecke. Dann machte er sich unbeholfen daran, sie zu reinigen, bevor sie das Bewußtsein wiedererlangte. Dabei flossen
ihm die Tränen über die Wangen und fielen auf ihr bleiches Gesicht.
Als Gudrun die Augen aufschlug, bemerkte er es nicht. Aber als sie ihm mit der Faust auf die Nase schlug, schreckte er zusammen. Der Schlag tat nicht weh, aber der Ausdruck auf ihrem Gesicht, als sie das frische Laken an sich riß und sich kerzengerade aufrichtete, brannte wie Salz in einer offenen Wunde.
»Wage nicht, mich noch einmal zu berühren!« Zornige Tränen stiegen ihr in die Augen. »Was hast du dir denn vorhin dabei gedacht?«
»Ich dachte ... ich dachte ...«
»Alle Frauen haben mir gesagt... du solltest...« Ihre Schultern zitterten, und sie schluchzte heftig. »Nein, Sigfrid, so sollte es nicht sein!« »Was hätte ich denn tun sollen?«
Sigfrid setzte sich neben sie auf den Bettrand und wollte den Arm um sie legen. Aber sie schüttelte ihn heftig ab und wich vor ihm zurück.
Dann sah sie das blutige Laken auf dem Boden und stieß erschrocken einen Schrei aus. Mit tonloser Stimme flüsterte sie: »Du hättest mich... ich glaube, du hättest mich wirklich umbringen können.« Sie legte beide Hände auf die Schenkel, als müsse sie sich vergewissern, daß sie noch vorhanden waren. »Meine Mutter und alle verheirateten Frauen haben gesagt, selbst wenn du vorsichtig bist, würde es beim ersten Mal weh tun, und es werde auch etwas Blut fließen, aber nicht viel. Sogar Costbera hat mir gesagt, es sei nicht so schlimm für
eine gesunde Frau.« Sie schluchzte wieder. Dann sprach sie stockend weiter. »Aber sie haben auch gesagt..., du würdest mich zuerst küssen und mir sagen, daß... du mich liebst, du würdest mich streicheln und liebkosen und... und mir alles so angenehm wie möglich machen...«. Und Sigfrid wußte, daß in diesem Augenblick Gunter genau wußte, was er zu tun hatte, wie und wo er Brünhild küssen und ihren Körper liebkosen mußte. Aber er wußte nicht, ob er sich wünschen sollte, daß Brünhild Freude an ihrem Mann fand, oder daß sie trotz aller Zärtlichkeiten von Gunter immer noch an ihn dachte.
Das Wissen um die schreckliche Wahrheit konnte Sigfrid nicht mehr leugnen. Deshalb schwieg er, als Gudrun schließlich schluchzend hervorstieß: »Niemand hat mir gesagt, daß du mich... mich vergewaltigen würdest.«
»Es tut mir leid«, murmelte Sigfrid betroffen, und heiße Tränen strömten über sein Gesicht. Sie glühten wie das Drachenblut auf seiner Haut. Beschämt erinnerte er sich an die schreckliche Wut, an die dunklen Kräfte, die ihn erfaßt hatten. Die Zauberkräfte, wie sie in der Tarnkappe wirkten, hatten nicht nur Gudrun, sondern auch ihn vergewaltigt. Sein Geschlecht schmerzte, als sei es das eigene Blut zwischen seinen Schenkeln. »Kannst du mir verzeihen?«
»Wir werden sehen.«
Gudrun griff nach ihrem Gewand und zog es sich über den Kopf. Sie tauchte eines der Tücher in einen Wasserkrug und warf es ihm zu. »Mach dich sauber.«
Verlegen drehte sich Sigfrid um und wusch sich das Blut
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