Rheingold
widersprach Sigmund, »aber es macht mir nichts. Die Stiche sind nicht schlimmer als Dornen. Ich habe die meisten totgeschlagen, damit sie ihn nicht stechen konnten.«
»Aber wir haben den Honig. Seht nur, das ist alles Honig!« Die zwei Jungen hielten ihre Beute stolz den Eltern entgegen. Sigfrid tauchte den Finger in Sigmunds Topf und leckte ein paar Tropfen ab. »Das ist sehr guter
Honig«, sagte er ernst, »und ihr ward beide sehr mutig.«
»Habt ihr alle Stacheln entfernt?« fragte Costbera ihren Sohn. Nibel nickte. »So schlimm war es nicht. Ich bin schon öfter von Bienen gestochen worden.«
»Trotzdem mußt du vorsichtig sein«, erklärte Hagen, »zu viele Bienenstiche können so gefährlich sein wie ein Schlangenbiß.« Sigmund und Nibel stellten die Töpfe auf den Tisch.
»Habt ihr euch schon am Honig satt gegessen?« fragte Gudrun. »Ja«, antwortete Sigmund und strahlte.
»Sigmund hat viel mehr gegessen als ich«, erzählte Nibel, »ich dachte, er würde sich den Magen verderben.«
»Ich verderbe mir nie den Magen«, erklärte Sigmund empört. »Ich glaube, es ist Zeit, daß ihr tapferen Bienenjäger ins Bett geht. Morgen bekommt ihr dann Honigkuchen«, versprach Gudrun, »Costbera, ich habe Kräuter, damit die Bienenstiche abschwellen.«
»Vielen Dank« erwiderte Costbera, und auch Nibel schüttelte energisch den Kopf, »ich brauche nichts.«
»Du solltest Gudrun die Stiche behandeln lassen«, sagte Hagen zu seinem Sohn und blickte ihn streng an. Nibel hob trotzig den Kopf und erwiderte den Blick, bis Gunter laut auflachte. »Man sieht doch«, rief er vergnügt, »wie der Sohn dem Vater gleicht. Ich erinnere mich noch gut an einen kleinen Jungen, der auch nicht behandelt werden wollte, wenn er sich verletzt hatte.«
»Mein Sohn wird sich gern von dir behandeln lassen«, sagte Hagen zu seiner Schwester, die die beiden Jungen bei der Hand nahm. Costbera stand ebenfalls auf.
Sigmund riß sich plötzlich von seiner Mutter los und umarmte stürmisch seinen Vater. »Gute Nacht!« flüsterte er atemlos. Sigfrid lachte voll Stolz und drückte seinen Sohn gerade so fest, daß er quiekte. »Gute Nacht, Sigmund, und träume etwas Schönes.«
»Du auch...« Der Junge sprang von seinem Schoß und lief hinter Gudrun, Costbera und Nibel aus der Halle.
Gunter sah ihnen schweigend nach, dann sagte er nachdenklich: »Ich glaube, Brünhild bekommt wirklich einen Sohn. Krimhild sagt, man merkt es an ihrer Launenhaftigkeit.«
»Ist sie launisch?« fragte Sigfrid. »Vielleicht ist sie unglücklich ...«
Hagen antwortete: »Niemand kann behaupten, sie sei unglücklich. Sie sagt oft, ihr Mann sei ein mächtiger König und sie sei gern mit ihm verheiratet. Sie hat meinen Bruder immer gut behandelt, aber ihre Stimmung kann plötzlich umschlagen.«
»Wo ist sie denn heute abend?«
»Ihr geht es nicht gut«, sagte Gunter, »sie hat sich hingelegt. Ich habe sie gefragt, ob Gudrun zu ihr kommen soll, aber sie hat auch das abgelehnt.«
»Aber es schien ihr doch gutzugehen, und sie wirkte zufrieden.«
»Natürlich. Warum auch nicht?«
Gunter drehte sich um und blickte hungrig zur Küchentür, »ich möchte wissen, warum das Essen nicht kommt? Ich war der Meinung, der Fisch sei heute nachmittag gefangen worden. Aber so, wie es aussieht, ist die Köchin noch einmal zum Rhein gegangen, um noch mehr Fische zu fangen.«
*
Als Gudrun später an Sigfrid geschmiegt im Bett lag, die Kerzen gelöscht waren und sich langsam Asche über die Glut legte, zogen die Bilder des Tages noch einmal an Sigfrid vorbei. Er schlief schon fast, als er plötzlich spürte, wie seine Frau zitterte. »Was ist los?« fragte er leise und schläfrig unter der dicken Federdecke.
»Nichts...« Dann fragte sie: »Hat Gunter gesagt, warum seine Frau heute nicht beim Abendessen war?«
»Nein...«, er seufzte, »wir werden es bald genug wissen.« Seine Worte machten ihn plötzlich wach. Er öffnete die Augen und starrte in die Glut.
Gudrun sagte leise: »Warum ist sie mit dem, was sie hat, nicht zufrieden? Sie ist reich und glücklich. Alle verehren sie, und sie sagt, sie habe den Mann, den sie sich gewünscht hat.«
Sigfrid wußte, es wäre besser zu schweigen, aber er entschloß sich zu reden, obwohl ihm plötzlich die Kehle trocken wurde. »Wann hat sie gesagt, daß sie den Mann hat, den sie sich wünscht?«
Gudruns Stimme klang seltsam belegt, als sie antwortete: »Ich werde sie morgen fragen, welchen Mann sie wirklich haben
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