Rheingold
Faden ab und vernähte ihn. Dann suchte sie in ihrem Korb mit den Garnen und holte ein schwarzes Knäuel heraus. »Ich wäre zufrieden«, sagte sie leise, »wenn du nicht einen so viel besseren Mann hättest.«
»Mein Bruder ist so angesehen, daß niemand behaupten kann, Sigfrid sei mehr. Er ist reich, und er ist mächtig. Wir dagegen sitzen im Schwarzwald an der Ostgrenze und kämpfen mit den Hunnen. Du hast in Rom gelebt, in Spanien und in Toulouse. Möchtest du in einer einfachen Halle in den Bergen leben statt im Herzen des größten Reichs im Norden?«
»Sigfrid hat Fafnir getötet, und das ist mehr wert als die ganze Macht von König Gunter. Diese Tat wird so lange besungen werden, wie es Menschen auf der Erde gibt. Und dein Bruder hat nicht gewagt, durch die Flammen zu reiten.«
»Grani wollte mit ihm als Reiter nicht durch die Flammen springen, aber mein Bruder ist ein kühner Krieger, und niemand würde an seinem Mut zweifeln.«
»Ich glaube, bei dieser Sache ist es nicht mit rechten Dingen zugegangen. Ich kann mir nicht helfen, ich traue den Zauberkünsten von Krimhild nicht. Wenn du Sigfrid nicht mit dunklen Runen blind gemacht hast, dann muß sie es gewesen sein.«
Gudrun ließ die Nadel fallen und stellte sich vor Brünhild. »Du sagst viel, was nicht stimmt. Und das ist eine ganz große Lüge!«
»Deine Sippe hat mich nicht verdient, und du nicht Sigfrid. Eure Ehe ist nicht gerechtfertigt, und ich hoffe, es wird das daraus werden, was ich erwarte.«
»Ich habe Sigfrid verdient, und ich freue mich an dem Glück unserer Ehe. Und niemand kann behaupten, daß er an mir Freude gehabt hätte, als es sich nicht ziemte.«
»Du bist erregt und wirst deine Worte bereuen, wenn du wieder ruhig bist. Alle wissen, wie jähzornig du bist. Ich schlage vor, wir wollen jetzt keine gehässigen Dinge mehr sagen.«
»Zuerst bist du gehässig zu mir«, erwiderte Gudrun, »und jetzt redest du, als wolltest du eine Versöhnung, aber in Wirklichkeit sinnst du auf Rache.«
»Lassen wir dieses sinnlose Gerede«, sagte Brünhild seufzend, »lange habe ich meinen Kummer in mir getragen. Aber jetzt liebe ich nur noch deinen Bruder. Reden wir von etwas anderem.«
Gudrun schwieg und dachte: Sie hat etwas Schlechtes im Sinn. Ich muß mich vor ihr in acht nehmen. Sie zog den Dolch aus dem Gürtel und durchtrennte den Faden. Sie schob ihn aber nicht wieder zurück, sondern legte ihn auf das Knie, wo Brünhild ihn nicht so leicht erreichen konnte, und dankte im stillen Wotan, daß er Sigfrid gegen Gift und Waffen unverwundbar gemacht hatte. Die Sonnenstrahlen erreichten inzwischen nur noch die Schwelle, als Brünhild sagte: »Mir geht es nicht gut. Ich möchte mich hinlegen. Du kannst Fenster und Türen schließen und dann gehen.«
Gudrun biß sich auf die Lippen und schwieg. Sie stand auf und schloß die Fenster. Dann sagte sie: »Schlaf gut, und träume etwas Friedliches. Wenn du möchtest, werde ich dir Honigkuchen und Wein bringen lassen, oder was immer du möchtest.«
»Ich möchte nichts essen. Ich habe dir doch gesagt, es geht mir nicht gut.«
Gudrun verließ schweigend den Raum. Sie wußte, sie würde Sigfrid nicht antreffen. Beim Frühstück hatten Sigmund und Nibel ihn überredet, mit ihnen auf Grani auszureiten, und sie hatten sich etwas zu Essen mitgenommen. Sigfrid schien am glücklichsten zu sein, wenn er mit Grani durch die Gegend ritt. So vertrieb er offenbar seine Sorgen, die ihn die halbe Nacht nicht hatten schlafen lassen. Gudrun ging in den Garten, wo Hagen und Gunter im Schatten eines Baums saßen und aßen.
»Komm, iß mit uns!« rief Gunter, als er sie sah. »Es gibt genug für uns alle.«
Gudrun setzte sich zu ihren Brüdern, schnitt sich ein Stück Brot ab und Käse. Obwohl das Brot noch ofenwarm war und der Käse weiß und frisch, brachte sie kaum einen Bissen herunter. »Wo bist du denn den ganzen Morgen gewesen?« fragte Gunter. »Ich war bei Brünhild.«
»Geht es ihr besser? Was hat sie denn?«
»Sie will es nicht sagen. Ich glaube .. ich glaube, du solltest mit ihr reden, bevor jemand hört, was sie sagt.«
Gunter ahnte nichts Gutes und fragte beklommen: »Was sagt sie denn?«
»Ich glaube, du mußt mit ihr sprechen«, wiederholte Gudrun und wurde so blaß, als müßte sie sich übergeben.
Gunter stand auf, schüttelte die Brotkrumen von der blauen Tunika und fragte: »Hat es etwas mit Sigfrid zu tun?«
Sie nickte. »Sei vorsichtig und paß auf sie auf. Ich weiß nicht, wozu sie fähig
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