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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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keine Freude an deinem Mann hast, dann hast du nicht so viel verloren wie ich.«
    Gudrun strich Sigfrid eine Haarsträhne von der kalten Stirn. Dann schloß sie ihm sanft die Augen, aber als sie die Hände hob, öffneten sie sich wieder.
    »Gudrun«, murmelte Gebiflag, die Schwester ihres Vaters. »Du mußt weinen, sonst wirst du an deinem Kummer sterben. Wer kann das besser wissen als ich? Ich habe fünf Ehemänner beerdigt, drei meiner Töchter, drei meiner Schwestern und meinen einzigen Bruder, und trotzdem lebe ich noch.«
    Gudrun sagte nichts und sah sie nicht an. »Gudrun«, sagte Herborg, »ich habe noch mehr ertragen müssen.
    Meine sieben Söhne und mein Mann fielen in der Schlacht, als sie an der Seite deiner Brüder kämpften. Davor habe ich Vater und Mutter verloren und meine vier Brüder. Sie sind auf dem Meer im Sturm ertrunken, dicht vor dem rettenden Ufer, als ihr Schiff gegen ein Riff lief und kenterte. Ich allein habe überlebt und mußte sie begraben.
    Ich habe sie aufgebahrt und ihre starren Glieder gestreckt. Noch in demselben Jahr wurde ich gefangengenommen und verlor meine Freiheit. Ich mußte jeden morgen einer Frowe die Haare kämmen und flechten und ihr die Schuhe binden. Sie verspottete mich und schlug mich. Der Fro war freundlich und gütig, aber sie tat alles, um mir das Leben bitter und hart zu machen. Mein Glück kehrte erst dann zurück, als mich Tonara freikaufte und mich zu deiner Mutter schickte. Aber damals habe ich Nacht für Nacht geweint, denn sonst wäre ich vor Kummer gestorben.«
    Goldrand, eine sehr alte Frau, schob die anderen zur Seite und trat zu Gudrun. Sie musterte Gudrun eine Weile, dann hob sie den kräftigen Arm und legte ihn ihr auf die Schulter. »Jetzt drückst du Sigfrid deine Lippen auf den Mund und umarmst ihn, als sei er noch am Leben, denn wenn er verbrannt ist, wirst du ihn nie wiedersehen.«
    Gudrun beugte sich über Sigfrid, und als ihre Lippen seinen kalten Mund berührten, strömten ihr die Tränen heiß aus den Augen. Schluchzend warf sie sich auf ihn und umarmte Sigfrid und Sigmund mit ihrer ganzen Liebe.
    »So wie du ist niemand auf der Welt geliebt worden«, sagte Goldrand leise, »du warst glücklich an Sigfrids Seite. Jetzt mußt du soviele Tränen vergießen, wie du nur kannst. Aber dann soll dich der Gedanke trösten, daß keine Frau größere Freude kannte als du, solange Sigfrid noch lebte.«
    »Ich stand höher als die Walküre«, schluchzte Gudrun, »aber jetzt ist Sigfrid tot, und ich bin nicht mehr als ein Blatt an einem abgestorbenen Baum. Und nur meine Brüder sind daran schuld, daß ich diesen Kummer ertragen muß.«
    Geschüttelt vom Schluchzen richtete sie sich auf und ließ den Tränenstrom ungehindert über den Mann und den Sohn fließen, bis sie nicht mehr weinen konnte. »Jetzt bringt mir Wasser und die Festtagskleidung, damit ich sie waschen kann«, befahl Gudrun den Frauen, »ich und nur ich werde sie für den Scheiterhaufen vorbereiten.«
    Aber Sigfrids Leichnam war für sie allein zu schwer. Sie konnte ihn nicht bewegen. Alle Frauen mußten helfen, damit sie ihm die blutige Tunika ausziehen und die goldbestickte
    purpurrote Tunika anziehen konnte, die Gudrun ihm im letzten Winter geschenkt hatte. Goldrand reichte ihr dann vier alte Goldmünzen, zwei große und zwei kleine. Als Gudrun die kleinen Münzen auf Sigmunds Augen legte, war es, als würde sie ihm vor dem Schlafengehen die Decke überlegen. Es fiel ihr schwer, zum letzten Mal in die starren Augen von Sigfrid zu sehen, und noch schwerer war es, sie mit dem Gold zu schließen. »Du darfst nicht hierbleiben«, sagte Goldrand energisch, als Gudrun sich vor den Toten auf den Boden setzte, »denn sonst werden sie dich mit in das andere Reich hinüberziehen. Du hast getan, was getan werden mußte. Jetzt solltest du nichts mehr tun.«
    Gudrun zitterte am ganzen Leib, und sie hatte kein Kraft, um sich zu wehren, als die starke alte Frau sie hochzog, den Arm um ihre Schultern legte und mit ihr davonging. Erst als sie an der Tür zu ihrer Kammer vorüberkamen, fragte Gudrun: »Wohin gehen wir?«
    »Du wirst heute bei mir und den anderen Frauen schlafen. Es wäre nicht gut, wenn du allein bleibst. Ich werde dir etwas Mohnsaft zu trinken geben und etwas Wein, denn du mußt jetzt schlafen.«
    Gudrun war zu schwach um sich zu wehren. Sie folgte den Frauen willenlos in das Schlafgemach, setzte sich auf das fremde Bett und wartete, bis Goldrand mit dem Schlaftrunk zurückkehrte. Gudrun

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