Rheingold
schluckte gehorsam den Wein. Dann legte sie sich hin und zog die Decke über sich. Noch immer zitternd spürte sie nach einer Weile die angenehme Wärme und sank in einen tiefen Schlaf.
*
Hagen suchte im Wald nach Grani, aber er fand den Hengst nicht, bis er im Morgengrauen wieder zur Halle seines Bruders zurückkehrte. In der Dämmerung sah er den großen Schatten vor dem Tor der Halle. Grani ließ den Kopf hängen, aber seine grauen Augen standen offen, als halte er Totenwache. »Mach Platz, Grani«, befahl Hagen, »es wird nicht mehr lange dauern, aber jetzt müssen die Menschen das Tor benutzen können.« Die gebrannten Fliesen klirrten unter den Hufen, als Grani zur Seite trat und Hagen eintreten ließ.
Hagen eilte zu Gunters Kammer, aber er ging leise und vermied, den Knechten und Mägden nahezukommen, die bei seinem Anblick Donars Zeichen machten oder sich bekreuzigten. Geräuschlos öffnete er die Tür. Gunter lag in seinem Umhang auf dem Boden und schlief. Hagen hörte seinen Bruder schwer atmen, aber er wußte sofort, daß Gunter zu erschöpft war, um schnell aufzuwachen. Der König hatte Brünhild auf sein Bett gelegt. Wenn er ihr die Hände über der Brust gekreuzt hatte, um sie friedlich aufzubahren, dann war sie nicht in dieser Lage liegengeblieben. Im Erstarren des Todes hatte sie die weißen Arme gehoben, als greife sie nach jemandem. Zwei römische Goldmünzen lagen neben ihrem Kopf. Die Augen standen weit offen, als sei sie plötzlich erwacht. Ihr Körper strahlte noch eine leichte Wärme aus, als Hagen ans Bett trat und die Arme mit ganzer Kraft nach unten drückte. In der Totenstarre schien Brünhild gegen ihn zu kämpfen wie im Leben. Als er schließlich ihre Hände ergriff und nach unten zog, waren sie so kalt wie seine.
»Es ist gut, daß du verbrannt wirst, Walküre«, flüsterte er ihr zu, »ich glaube, in einem Grab würdest du keine Ruhe finden. Wenn du von nun an wieder zur Schlacht reitest, dann bist du ein Geist. Mir jedenfalls ist es gleich, ob du mit Ygg zur Jagd reitest oder in Hels dunklem Reich kämpfst, aber kämpfen mußt du in alle Ewigkeit.«
Hagen nahm das dunkle Auerochsenhorn der Burgunder, das über Gunters Tür hing, und verließ die Kammer. Er ging in den Hof und blies dreimal, um die Männer und Frauen zu rufen. Sie versammelten sich ängstlich, blieben dicht zusammengedrängt an der Mauer stehen wie abgefallenes Laub, das ans Ufer getrieben worden ist. Alle wichen seinem Blick aus und flüsterten miteinander, aber sie verstummten sofort, als Hagen zu sprechen begann. »Holt trockenes Holz, das gut brennt. Schichtet es zu einem großen Stoß«, befahl er ihnen, »die stärksten Männer sollen die Tafel mit Sigfrid und Sigmund hierher tragen. Das Holz soll um sie aufgeschichtet werden. Brünhilds Frauen, bringt alles, was ihr gehört hat. Aber wer etwas davon haben möchte, möge es sich nehmen, wie sie es gewollt hat.«
Er schwieg und sah sich um. Dann fragte er: »Wo ist Gudrun?«
»Fro Hagen«, antwortete Goldrand, »sie schläft. Ich habe ihr Mohnsaft gegeben...«
»Das war gut. Sie soll schlafen, bis das alles vorüber ist. Wenn sie aufwachen sollte, gib ihr noch einen Schlaftrunk. Ich werde Sigfrids Dinge selbst holen, damit er in der Halle seines Drichten ankommt, wie es seinem Rang gebührt.«
Schweigend starrten sie Hagen an. »Worauf wartet ihr noch? Los, an die Arbeit!« rief er, und sie stoben davon, als sei der Blitz in sie gefahren.
»Folge mir«, sagte Hagen zu Grani, der noch immer vor dem Tor stand. »Ich führe dich in den Stall, werde dich satteln und zäumen. Du sollst fressen und saufen, soviel du kannst, denn vor dir liegt ein langer Ritt, und du mußt drei Reiter tragen.«
Als Hagen Grani gesattelt hatte, führte er ihn zurück in den Hof. Dann ging er zu der Kammer, wo Sigfrid mit Gudrun geschlafen hatte. Die beiden hatten viele Kostbarkeiten mit nach Worms gebracht, die sie als Geschenke am Fest der Winternacht verteilen wollten. Hagen sah Goldschmiedearbeit der Hunnen, Römer und anderer Stämme, gegen die Sigfrid ständig hatte kämpfen müssen.
Rodger und die Alemannen östlich vom Rhein würden es ohne Sigfrid sehr schwer haben, ihre Stellungen zu halten.
Die Tarnkappe befand sich in Sigfrids Gürtelbeutel. Hagen dachte nicht darüber nach, in welcher Absicht Sigfrid sie mitgenommen hatte. Er hielt die goldenen Kettenglieder in der Hand, und die Kraft strömte heiß durch seine Arme. Er spürte das Verlangen, die Tarnkappe
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