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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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gequält und schwieg lange, dann sagte er leise: »Ich werde wieder heiraten... vermutlich schon vor dem nächsten Fest der Winternächte. Du wirst ein oder zwei Jahre hierbleiben, bis du bereit bist, einen Mann zu nehmen. Dann wirst du Kinder bekommen ...«
    »Glaubst du wirklich, ich könnte noch einmal einen Mann lieben... einen Mann nach Sigfrid? Wer könnte ihm gleichkommen? Selbst du warst ihm bei weitem unterlegen«, fügte sie mit bitterer Genugtuung hinzu, und ihr Bruder senkte nur schweigend den Kopf. »Er ist tot. Andere Männer leben. Du wirst bei uns bleiben, bis du deinen Schmerz überwunden hast und wieder bereit bist zu heiraten.«
    »Ich weiß, wie Krimhild meinen Schmerz heilen wird. Ich werde nicht hierbleiben... nach all dem, was geschehen ist. Du hast deinen Eid gebrochen und du bist ein Schwächling. Ich weiß nicht, was schlimmer ist.«
    »Gudrun...«, rief Gunter ihr nach, aber sie lief bereits durch die Halle, nahm eine Fackel von der Wand und ging entschlossen in ihre Kammer.
    Wie erwartet waren alle Dinge, die sie als Geschenke mitgebracht hatten, nicht mehr da. Ich hoffe, man hat sie mit Sigfrid und Sigmund verbrannt, dachte Gudrun, aber ihren Brüdern traute sie mittlerweile alles zu. Ihr Schmuck jedoch war noch da. Sie legte Gold und Silber in einen Beutel und dann noch zwei ihrer einfachen Kleider. Sie zog die goldenen Nadeln aus den Haaren und ließ sie frei über die Schultern hängen. Dann zog sie ihre Reisekleidung an. Sie fand Sigfrids großen Dolch und nahm ihn ebenfalls an sich. Gudrun wußte nicht, wohin sie wollte, als sie durch den mondhellen Garten lief und durch die hintere Tür in der Mauer blindlings unter den hohen Bäumen davonrannte. Gudrun wußte nur, sie mußte weit weg sein, ehe Krimhild zurückkam, und sie und ihre Söhne sie wieder zu ihren Zwecken benutzten. Sie schluchzte laut, während sie durch das trockene Laub rannte. Als Gudrun den geweihten Stein am Rhein erreichte und unter seinem großen Schatten stand, konnte sie nicht mehr weiter. Weinend sank sie auf den Boden. Es war so leicht, hier an Sigfrid zu denken, wie er strahlend neben ihr stand, die Blitze ihn umzuckten, als er den Hochzeitsschwur sprach, und Krimhild die Ehe mit dem heiligen Blut der Opfertiere weihte. Ohne daß ihre Tränen versiegt waren, zwang sie sich aufzustehen und weiterzugehen. Hinter dem Stein war der Weg von Brombeerranken überwachsen. Gudrun mußte sich durch das Gestrüpp hindurch kämpfen. Sie biß die Zähne zusammen und senkte den Kopf. Der Wind blies eiskalt über den Fluß. In der Ferne hörte sie einen Wolf heulen. Ein anderer antwortete ihm und dann noch einer.
    Gudrun saß die Einsamkeit wie Eis in den Gliedern. Morgen würde sie bluten, denn sie war nicht schwanger.
    »Wenn ich doch nur sterben könnte«, flüsterte sie, »sterben... bei Sigfrid in Walhall sein oder in der sicheren Ruhe von Hel.« Das schien ihr weit besser, als durch den dunklen Wald zu irren oder zu ihren Brüdern zurückzukehren. Auch Krimhild würde bereits auf dem Rückweg nach Hause sein. Gudrun wollte ihrer Mutter nie wieder begegnen...
    Sie blieb stehen und zog Sigfrids Dolch, aber sie brachte es nicht über sich, sich die spitze Klinge, die Sigfrid in seiner Jugend geschmiedet hatte, ins Herz zu stoßen.
    Gudrun schob den Dolch wieder in die Scheide am Gürtel zurück. In ihrer Verzweiflung dämpfte sie weder ihre Schritte, noch dachte sie an wilde Tiere oder andere Gefahren der Nacht. Gudrun hörte das Heulen der Wölfe, aber sie näherten sich ihr nicht. Gudrun lief am Rhein entlang, bis die Sonne aufging. Als sie nicht mehr laufen konnte, fand sie einen alten hohlen Baum. Dort legte sie sich schlafen. Die Sonne hatte bereits den höchsten Punkt überschritten, als sie hungrig und durstig erwachte. Sie ging zum Wasser hinunter und trank.
    »He!« hörte sie einen Mann rufen, der auf einem Floß den Fluß herunterkam. »He, Frau! Möchtest du mitgenommen werden?«
    Gudrun hob den Kopf und sah ihn an. In seine braunen dichten Haare mischten sich viele graue Fäden. Der Mann hatte einen vom Alter gekrümmten Rücken. Er stützte sich auf die Stange und trug, soweit sie das sah, keine Waffen. Ich muß keine Angst vor ihm haben, dachte sie. »Wohin?« fragte sie.
    »Ich fahre flußabwärts zu der Stadt, die die Römer Colonia nennen. Weißt du, wo das ist?« Er scheint sich über mich lustig zu machen, dachte Gudrun, vermutlich hält er mich für eine fliehende Geisel oder die Tochter eines armen

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