Rheingold
den Augen und verstummte. »Ich hatte Angst um dich«, sagte Gudrun, »sonst hätte ich dich nicht geschlagen. Geht es dir wieder besser?«
»Ich... hoffe«, erwiderte Costbera zitternd, »danke... kann ich etwas trinken?«
»Ich hole dir etwas aus der Küche. Dieser Wein hier ist bestimmt nicht das richtige für dich.« »Aber Krimhild hat gesagt...«
Gudrun lächelte bitter. »Ich hole anderen Wein.«
Costbera sah, wie Gudruns Lippen zitterten, als sie sich erhob und die Tür öffnete. Durch den Luftzug erlosch die Kerze. Costbera tastete sich an der Wand entlang bis zu Gudrun und flüsterte: »Ich begleite dich.«
Sie eilten durch den Gang und hörten von weitem die Stimmen der Männer. Gunter und seine Frau saßen bestimmt mit Attila, Dietrich, Hildebrand und den Kriegern zusammen. Hoffentlich kann sich Gunter ohne Hagen gegen Attila behaupten, dachte Gudrun flüchtig, während Costbera nicht verstand, daß Gunter mit den Goten und Hunnen zusammensaß und trank, während seine Mutter im Sterben lag. Sie hatte sehr wohl gehört, was die Frauen flüsterten, wenn sie am Rhein die Wäsche wuschen. Costbera hatte Gebika nie gesehen, aber alle sagten, Gunter sei wie sein Vater, der plötzlich an einer seltsamen Krankheit starb, als sein Sohn alt genug war, um an seine Stelle zu treten. Wen wunderte es inzwischen noch, daß seine Mutter noch immer die Geschicke des Reiches lenkte. Costbera hatte oft die Angst gespürt, die Gunter wie ein schleichendes Gift überfiel, wenn Krimhild in seiner Nähe erschien. Mit Schaudern dachte Costbera, Krimhild hat ihren Mann umgebracht. Das war der Sinn ihrer letzten Worte. Aber was wird Gunter ohne sie tun? Costbera wollte nicht an Krimhilds Stelle treten, wie die Königin es ihr befohlen hatte. Das ganz bestimmt nicht!
Die Frauen tranken in der Küche mit Wasser gemischten Wein. Dann nahmen sie so viele Kerzen, wie sie tragen konnten, und kehrten in Krimhilds Kammer zurück. Sie entzündeten die Kerzen, und bald war der Raum bis in den letzten Winkel erleuchtet. Gudrun trat gerade an das Bett, um die Laken zu glätten, als Costbera ihren unterdrückten Schrei hörte.
»Sie ist wieder hier...«, flüsterte Gudrun erschrocken. Costbera drehte sich heftig um. Durch den Luftzug begannen die Kerzen heftig zu flackern. Dunkle Schatten tanzten auf den Wänden. Costbera wollte schreien, aber kein Laut kam aus ihrer Kehle. Krimhilds Leiche lag auf dem Bett. Die Augen standen offen und leuchteten, als sei Krimhild lebendig, nur der Kopf war etwas nach unten gesunken. Hagen muß sie zurückgebracht haben, dachte Costbera. Was ist schon dabei?
Auch Gudrun starrte auf die Leiche. Vorsichtig streckte sie die Hand aus, schloß ihrer Mutter die Augen und richtete ihr den Kopf. »Wir müssen ihr etwas auf die Augen legen.«
Costbera holte aus ihrem Gürtelbeutel zwei Silbermünzen - Münzen aus Konstantinopel, in die ein Kreuz geprägt war. Sie reichte die Münzen Gudrun, die sie betrachtete und ihrer Mutter stumm auf die Augen drückte. In diesem Augenblick schlug etwas gegen das Fenster. Die beiden Frauen zuckten zusammen und drehten sich erschrocken um. Dann war wieder alles still. Seufzend wollten sie sich setzen, als Gudrun plötzlich Costberas Arm umklammerte. Krimhilds Kopf war wieder zur Seite gefallen, und die Münzen lagen auf dem Laken. »Wir müssen ihr Gesicht bedecken«, flüsterte Costbera. Sie zog aus ihrem Gürtelbeutel das seidene Tuch, das sie in der Kirche auf dem Kopf trug. Gudrun hielt den Kopf der Leiche, aber als Costbera mit dem Tuch in der Hand ans Bett trat, flatterte wieder etwas im Zimmer. Erstaunt blickten sie nach oben und sahen eine Schwalbe. »Sie ist nicht tot!«
Schlagartig verstand Costbera, warum nur Hagen, Gudrun und sie an Krimhilds Sterbebett stehen durften. Die Hexe wollte den Ring der Mittelerde nicht wirklich verlassen. Sie hatte ihr Werk vollbracht, sich in einen Vogel verwandelt und wollte ewig leben, als ein Wesen, das außerhalb der Gesetze von Leben und Tod stand. Die Menschen, die ihr zu Lebzeiten auf die eine oder andere Weise gedient hatten, würden ihre Sklaven sein. Krimhilds Gift wirkte noch in ihr, und Costbera sah deutlich den grünblauen Schein, das Geisterlicht, um die Scheintote. Die Schwalbe kreiste über ihnen, als wollte sie sich im nächsten Augenblick auf sie stürzen.
Costbera flehte um die Kraft ihres Gottes. Plötzlich wußte sie mit großer Klarheit, was sie tun mußte. Stumm betend zog sie das goldene Kreuz aus dem
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