Rheingold
vorbei ins Freie. Costbera tastete nach dem goldenen Kreuz. Der Priester hatte es ihr gegeben, als sie sich nach der Hochzeitsnacht in ihrer größten Not zu ihm geflüchtet hatte. Aber bis jetzt hatte der neue Gott sie nur wenig vor Hagen geschützt, auch nicht vor Krimhild und den Tränken, die sie während der Schwangerschaften trinken mußte. Costbera zitterte noch immer vor den dunklen, heidnischen Kräften, die sie nicht loslassen wollten. Sie betete zu der Jungfrau Maria und hoffte, sie werde ihr beistehen.
Als Costbera immer langsamer ging und hinter Hagen zurückblieb, griff er nach ihrer Hand -seit Jahren war das die erste Berührung. Sie zuckte zusammen, aber Hagen ließ sie nicht los. Unwillkürlich mußte sie an ihre Hochzeitsnacht denken. Wie damals drohte sie in ihrer namenlosen Angst, ohnmächtig zu werden, als sie hilflos ihrem Mann in das Haus am Fluß folgen mußte. Sie hatte sich nie an seine Berührungen gewöhnen können, aber sie wußte damals wie heute, würde sie versuchen zu fliehen, dann würde sein Griff wie eine Schlinge, die sich fest um sie zog. »Heilige Maria«, betete sie in stummer Verzweiflung, »gib mir Kraft und schütze mich vor Krimhilds Zauberkünsten. Ich vertraue auf Gott und weiß, er ist stärker als jede Hexe.«
Costbera sah einen dunklen Schatten über den Weg springen. Sie wollte schreien, aber dann erkannte sie die glühenden Augen von Minne und fühlte sich unbestimmt getröstet. Warum nur folgt mir die Katze, fragte sie sich verwundert. Dann fiel ihr ein, daß Krimhild keine Katzen in der Halle duldete. Ich müßte dafür sorgen, daß Minne im Garten bleibt...
*
Gudrun stand an Krimhilds Bett und reichte ihrer Mutter den Becher mit Wein. Costbera mußte schlucken. Ihre Kehle schien plötzlich wie ausgetrocknet. Ein Krug stand auf der Truhe, aber kein leeres Glas, kein Becher.
Ohne nachzudenken, griff sie nach dem Krug. Gudrun erschrak und wollte sich aufrichten, aber Krimhild ließ sie nicht los.
»Laß sie... Costbera soll trinken. Der Wein wird ihr nicht schaden.«
Gudrun wollte etwas erwidern, aber Costbera trank bereits durstig. Hagen nahm ihr den leeren Krug aus der Hand und sagte: »Ich hole dir mehr, wenn du noch Durst hast.«
Costbera schüttelte stumm den Kopf und wich an die Wand zurück. Schauer liefen ihr über den Rücken, und sie begann, am ganzen Leib zu zittern. Die Kerze schien plötzlich sehr viel heller zu brennen, sie leuchtete wie der Heiligenschein der Muttergottes in der Kirche. Costbera dachte, soviel Licht in Krimhilds Kammer. Wie kann das sein? Sie spürte deutlich die Augen der Hexe, die Beine gaben unter ihr nach, und sie sank auf einen Hocker. »Warum hast du mich gerufen?« fragte sie Krimhild. »Gudrun hilf mir. Ich möchte mich setzen«, krächzte Krimhild. Ihre Tochter nahm sie bei den Schultern, und Krimhild war so leicht wie ein Bündel Stroh. Costbera sah plötzlich um Gudrun ein Feuer aufleuchten, einen dunkelroten Schein mit violetten Streifen, während die zuckende Flamme in Krimhilds Brust zu verlöschen drohte. Krimhild winkte Costbera, die wie in Trance auf das Bett zuging, und griff nach ihrer Hand. »Du mußt sehen!« zischte sie. »Wenn ich nicht mehr bin, dann wirst du meinen Söhnen dein Wissen geben. Deine Sicht kann ihr Leben und den Fortbestand der ganzen Sippe retten ... Ich habe dich zu meiner Nachfolgerin bestimmt... ich wollte dich meine Kunst lehren ... ich sehe die Kraft deiner Seele, die noch schläft._ du hast dich immer geweigert, aber jetzt mußt du den Mut aufbringen, dich dieser Kraft zu stellen.«
»Sollte ich deshalb Hagen heiraten?« flüsterte Costbera. Sie spürte ihren Körper nicht mehr, aber ihr Bewußtsein war stark und klar wie nie zuvor. Sie sah trotz der Dunkelheit alles sehr deutlich und hörte auch die leisesten Geräusche draußen im Garten. »Du hättest begreifen können, wer er ist. Aber du hattest Angst vor ihm.«
Krimhilds Worte klangen wie ein Urteil, das sie über die Frau ihres Sohnes fällte.
Costbera antwortete nicht. Sie sah ihren Mann an, der stumm neben ihr stand. Sie spürte noch die Kälte seiner Berührung wie Eis, das nicht schmilzt. Mit ihrer geschärften Sicht blieb er dunkel und kalt, so wie sie seine Nähe immer empfunden hatte. Costbera begriff in diesem Augenblick, daß Hagen weniger ein Mensch als ein dunkles Wesen aus einer anderen Welt war. Gebika konnte nicht sein Vater sein...
»Aus welcher Sippe kommen meine Kinder?« fragte sie Krimhild und stellte
Weitere Kostenlose Bücher