Rheingold
Becher heißen gewürzten Wein getrunken, als Hagen, Gunter und Wingi sich zu ihrem Gespräch zurückzogen. Gunter spürte den Wein. Sein Gesicht schien zu glühen, aber war so hellwach, als würde der eisige Wind des Winters für die Klarheit seiner Gedanken sorgen. Der junge Bote löste Unbehagen bei ihm aus. Er hatte schrägstehende Augen wie die Hunnen, aber er war ein Mischling, wie die blauen Augen verrieten - etwas Verschlagenes lag darin. Gunter rieb nachdenklich die alte Narbe am Daumen, der Schlangenbiß aus seiner Kindheit, der hin und wieder schmerzte. Er versuchte sich zu erinnern, in welchem Zusammenhang er Wingis Namen schon einmal gehört hatte.
Gladis stellte einen Krug Glühwein auf den Tisch. Ihr hagerer Körper zeichnete sich deutlich unter dem braunen Gewand ab. Warum nur schenkte sie ihm nicht den ersehnten Erben, einen Sohn, der das Säuglingsalter überlebte? Gunter seufzte und wußte, er würde vermutlich eine zweite Frau nehmen müssen, denn die Jahre vergingen wie im Flug. Er schob den Gedanken schon lange vor sich her, aber es gab immer etwas, das wichtiger zu sein schien. Als Gladis die Tür hinter sich schloß, dachte er, ich muß einen Erben haben... Wingi nahm die Fellmütze vom Kopf und ließ den blonden Zopf auf den Rücken fallen. Er zog eine Pergamentrolle aus der Innentasche seiner Tunika. »König Attila schickt mich«, begann er, »und möchte, daß du ihn in allen Ehren besuchst. Er wird dir seine ganze Ehrerbietung erweisen. Du wirst Helme, Schilde, Kettenhemden, Gold, kostbare Gewänder und auch Land von ihm bekommen, um die Macht unserer Völker in verwandtschaftlicher Einigkeit und zum Segen unserer Sippen gerecht zu verteilen.« Der Bote entrollte das Pergament. Ein kleiner Gegenstand fiel heraus, den er in der Hand behielt. Dann übergab er Gunter die Rolle.
Gunter fuhr langsam mit dem Zeigefinger die römischen Buchstaben nach und bewegte beim Lesen stumm die Lippen. Es dauerte eine Weile, bis er die Nachricht verstanden hatte. Als König mußte er diese Sprache verstehen, aber es fiel ihm nicht leicht. Er wünschte sich oft, Hagen hätte Latein gelernt, denn ihm würde das bestimmt leichter fallen.
»Attila läßt uns grüßen und lädt uns beide zum Julfest ein«, las er schließlich laut vor. »Richtig«, meldete sich Wingi wieder zu Wort, »und Gudrun läßt dir das geben, damit du siehst, wie wichtig es ist, daß du kommst.« Er öffnete die Faust und legte einen Ring auf den Tisch. Die flackernden Flammen der Fackeln ließen die winzigen goldenen Schuppen des Drachens glitzern, der sich um den roten Stein wand. Ein langes graues Wolfshaar war dreimal um den Ring geschlungen und verknotet.
Gunter betrachtete den Ring. Er brachte in ihm etwas zum Klingen, das wie ein dunkler Schatten über seiner Seele lag. Nur das Erstarken seiner Macht und die erstaunliche Anerkennung und Achtung, die er genoß, hatten ihm immer wieder geholfen, das alles zu vergessen. Aber jetzt erinnerte er sich. Er hatte einmal die Heldenportion zu Unrecht gefordert, und ein anderer Ring glänzte damals grün an seinem Finger, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen. Gunter hatte inzwischen gelernt, daß ein König seine Gefühle zeigen mußte, wenn es dem Anlaß entsprach, und sie verbergen, wenn es die Vernunft forderte. Jetzt verriet seine Stimme nichts von den bedrückenden Gedanken, die ihn bewegten. Er gab auch nicht zu erkennen, daß er den Ring kannte, der für Gudrun das Wertvollste in ihrem Leben war.
»Was sollen wir zu diesem Angebot sagen?« fragte Gunter seinen Bruder. »Attila will uns etwas von seiner Macht geben. Aber wir sind in den neun Jahren, in denen Gudrun mit ihm verheiratet ist, so mächtig geworden, daß wir ihn nicht mehr fürchten müssen. Ich glaube, es gibt keinen König, der so viel Gold hat wie ich. Wie heißt es doch? ›Ich habe das beste Pferd, das schärfste Schwert und das meiste Gold, mehr brauche ich nicht. ‹«
Hagen wandte den Blick von dem Ring ab. Gunter glaubte zu sehen, wie der rote Glanz sich in Hagens Auge spiegelte, als er sagte: »Das ist ein ungewöhnliches Angebot, denn so etwas hat er noch nie getan. Wir wären schlecht beraten, ihn zu besuchen. Siehst du das Wolfshaar um den goldenen Ring. Gudrun glaubt offenbar, daß Attila wie ein Wolf auf uns lauert. Sie möchte nicht, daß wir kommen.«
»Sie sendet euch noch eine Nachricht, dann werdet ihr besser verstehen, was sie sagen möchte«, erklärte Wingi, »hier... am unteren
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