Rheingold
gallischen Wein die Zunge schwer, aber Wingi lachte und redete unbeschwert. Plötzlich beugte er sich vor und sagte:
»Ich muß euch noch etwas sagen.« Er leerte betont langsam seinen Becher.
»Sag schon«, forderte ihn Gunter ungeduldig auf, »oder ist es ein Geheimnis?«
»Ein großes Geheimnis...« Attilas Bote schwieg und sah Gunter ernst an.
»Nun sag doch schon, was du mir sagen sollst!« rief Gunter. »Es geht um Attila... er ist ein großer König. Niemand außer dir und Valentinian kann sich mit ihm vergleichen, aber er wird alt. Er ist schon über fünfzig Winter und sehr alt, um sein Königreich zu verteidigen. Das Reich der Hunnen ist für einen jungen Mann das richtige. Aber sein Sohn Bleida ist erst neun und Humla sieben. Sie sind zu jung, um über das Land zu herrschen.«
»Ja und?«
Gunter ballte unwillkürlich die Fäuste. Hätte ihm Brünhild den Sohn geboren, den sie im Leib trug, dann wäre er jetzt alt genug, um mit dem Schwert zu üben. Er könnte bald an seine Stelle treten. Ich war nicht viel älter, als Gebika starb. So alt Attila auch sein mag, er hat zwei Söhne und ich keine...
»Ich sollte dir das eigentlich nicht sagen. Es soll eine Überraschung sein. Aber dein Bruder scheint Attila nicht zu trauen...« Der Bote schwieg.
»Was hast du uns zu sagen?« fragte Hagen und musterte ihn kalt. Wingi verschluckte sich vor Schreck und mußte husten. »Mach ihm keine Angst, Hagen. Er soll sprechen«, erklärte Gunter.
»Gunter, du bist der Bruder von Gudrun, die Attila zwei Söhne geboren hat«, sagte Wingi, als er wieder Luft bekam, »du bist der nächste Verwandte. Deshalb möchte Attila, daß du über sein Land herrschst, bis seine Söhne alt genug sind. Er vertraut darauf, daß du für Gudruns Kinder nur das Beste willst und ihnen später die Macht übergibst.«
»Hat Attila das Rheingold vergessen? Will er wirklich darauf verzichten?« fragte Gunter rauh. »Ich habe seine Worte nicht vergessen, als er den Anspruch auf das Gold erneuert hat.«
»Attila sagt, er habe mit Gudrun den besten Teil von Sigfrids Brautpreis«, erwiderte Wingi und lächelte verschlagen, »Attila sagt, er kann gut verstehen, warum Sigfrid deine Schwester geheiratet hat und nicht Brünhild, die Tochter Theoderids.«
Der Wein half Gunter an diesem Abend nicht, das Vergangene zu vergessen. Seine Erinnerungen wurden immer klarer und quälten ihn wie die Alpträume, die er oft hatte. Gunter mußte sich schon seit langem eingestehen, daß er die Angst vor dem Wirken des Schicksals nicht überwinden konnte. Sie schien von Jahr zu Jahr bedrohlicher zu werden. Tagsüber konnte er vieles vergessen. Als König hatte er nie Langeweile. Seit Brünhilds Tod hatte niemand in seiner Gegenwart ihren Namen erwähnt. Sie lebte nur in seinen Gedanken. Jetzt lag der feurige Ring vor ihm auf dem Tisch. Je länger er ihn anstarrte, desto mehr tränten seine Augen; alles um ihn herum wurde undeutlich und verschwommen. Gunter glaubte, wieder vor dem Feuerring zu stehen, wollte sich mutig in die Flammen stürzen, weil sein Pferd ihm den Sprung durch das Feuer verweigert hatte. Der erstickte Schrei seiner Verzweiflung stieg in seiner Brust auf. Gunter glaubte zu ersticken. Hagens Stimme rief ihn in die Gegenwart zurück. »Das ist ein unglaubwürdiger Vorwand. Ich kenne Attila und weiß, daß er auf Reichtum und Macht ebensowenig verzichtet wie auf seinen Schwertarm.«
Wingi sah Gunter an und erwiderte: »Hagen, vergiß nicht, Attila war jung, als du bei ihm warst. Du bist lange Zeit nicht in seiner Nähe gewesen. Möchtest du dir diese Gelegenheit entgehen lassen, Gunter? Sigfrid hat die Hunnen nicht gefürchtet, obwohl er in der Nähe unserer Grenze lebte.«
Der Schrei würgte ihm die Kehle. Gunter sprang auf und umklammerte den Tisch. »Bei den Göttern!« rief er keuchend. »Ich fürchte weder Attila noch sein Volk!«
Zornig blickte er auf den verschlagenen Hunnen, der ihn widerwärtig zufrieden anlächelte. »Sprich in meiner Gegenwart nie wieder von Sigfrid, wenn dir dein Leben lieb ist! Du mußt nicht an meine Ehre appellieren, damit ich diese Einladung annehme. Auch wenn mein Bruder Angst haben sollte, ich habe keine Angst... auch dann nicht, wenn Attila mich zum Kampf auf Leben und Tod in seine Halle ruft.«
Hagen war ebenfalls aufgestanden und stellte sich ungerührt seiner Wut. »Sag, was du willst. Niemand hat je an deinem Mut gezweifelt, der einem König angemessen ist! Aber wenn du auf meinen Rat hörst, dann denkst
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