Rheingold
besonders der Christen. In den letzten Jahren ist das Reich der Burgunder für Rom zu groß und zu mächtig geworden.« Der Bote machte eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen. Attila schwieg, aber die Spannung stieg spürbar. Der Römer sprach weiter. »Wenn diesem stolzen König etwas zustoßen sollte... zum Beispiel, wenn er seinen Schwager in dieser Halle besucht oder ihm unterwegs ein Unglück geschieht... dann würde Valentinian darin ein Gottesurteil sehen, und er wäre mit den Dienern Gottes sehr zufrieden. Sollte das geschehen, dann wäre das für dich vielleicht ein Zeichen der Macht, die unser Christus hat, in dessen Namen wir kämpfen.« Der Römer schlug das Kreuz vor der Brust, und Wingi spuckte verächtlich auf den Boden.
»Vielleicht...« Attilas Stimme klang kalt, als er sagte: »Welche Gunst wird mir Valentinian erweisen, wenn ich das für ihn erledige? Wer kann mir helfen, wenn im Kampf die Entscheidung fällt? Ich weiß nicht, wie viele Burgunder den König begleiten, wenn er mich besucht.«
»Ein halbes Hundert Söldner sind bereits nur wenige Tagesmärsche entfernt in Stellung gegangen«, erwiderte der Bote knapp. Wingi hatte genug gehört. Er verließ die Halle so unbemerkt wie er gekommen war. Gunter und Hagen sollten zur Halle der Hunnen reiten. Dafür würde er sorgen. Auch wenn der Burgunderkönig mit einer großen Streitmacht kam, konnten sie nicht über die Hunnen siegen, wenn die Römer ein Heer in den Kampf schickten. Aber Wingi wollte die Burgunder warnen, bevor sie Attilas Halle betraten. Sie sollten nicht in diesen Hinterhalt geraten, denn sie mußten von den Hunnen aus eigener Kraft besiegt werden. Der Plan des Römers durfte nicht gelingen, denn dann würde Attila vielleicht die Götter und Geister der Hunnen verraten und den Glauben der Römer annehmen.
*
Attila kam noch vor dem Abendessen zu Gudrun. Er hielt eine Pergamentrolle in der Hand und lachte. »Möchtest du deine Brüder wiedersehen?«
»Soll das heißen, wir reiten nach Worms? Der Ritt ist lang durch den Schwarzwald._«, erwiderte Gudrun vorsichtig. Ihr Zorn war inzwischen einer schrecklichen Unruhe gewichen, aber sie wußte nicht, was das zu bedeuten hatte. Gudrun zog den Umhang fester über die Schulter. Das Wolfsfell streifte ihr rauh das Kinn.
»Ich lade Gunter und Hagen zu eurem Julfest, also unserem Fest der Mittwinternacht ein. Ich möchte ihnen bei dieser Gelegenheit große Ehren erweisen. Es sind neun Winter vergangen, seit wir sie zum letzten Mal gesehen haben. Auch Valentinian ist beeindruckt von der wachsenden Macht der Burgunder in den letzten Jahren. Und dieses Zeichen meiner Freundschaft ist ganz in seinem Sinn.«
»Hat der Römer dir vorgeschlagen, sie einzuladen? Was soll das für ein Fest werden?« »Ein Fest, das ihren großen Taten angemessen ist«, erwiderte Attila und lachte, »ich möchte, daß du ihnen auch etwas schreibst und siegelst, wie es bei deinem Volk üblich ist, damit sie wissen, daß die Nachricht von dir kommt.«
Gudrun nahm ihm die Pergamentrolle aus der Hand und las langsam die lateinischen Buchstaben. Wie Attila gesagt hatte, lud er Gunter und Hagen zum Friedensfest in der Mittwinternacht ein. Der laute, schrille Ruf eines Vogels, den niemand außer ihr hörte, ließ sie zusammenzucken. Gudrun sah sich verblüfft um. »Was ist?« fragte Attila und legte ihr begütigend die Hand auf die Schulter.
»Nichts... warum soll ich das unterschreiben? Die Worte sind klar und deutlich. Außerdem bleibt für mich kaum noch Platz, etwas hinzuzufügen.«
»Wenn du nicht möchtest...« Attila wollte die Pergamentrolle zurücknehmen, aber Gudrun griff danach. »Ich habe ja nicht gesagt, daß ich nichts schreiben werde.«
Gudrun setzte sich auf die Bank, legte die Botschaft auf die Knie, spuckte auf den Tintenstein und fuhr mit dem Federkiel darüber. Hagen kannte die Runen, denn ihr Bruder hatte die Bedeutung von ihr gelernt -mit einem leicht verständlichen Zeichen würde sie die Pläne ihres Mannes durchkreuzen. Gudrun zeichnete als erstes die Rune Raidho, die Rune für Reisen. Sie glich einem kantigen römischen »R«. Dahinter schrieb sie größer die Rune Thurisaz, ein Dorn, dessen Spitze die erste Rune durchbohrte. Zusammen wurde daraus eine Rune der Warnung mit der Bedeutung, daß die Reise von Dornen und bösen Absichten bedroht sei und ins Unglück führen werde. Als sie auf die Tinte blies, damit sie trocknete, fiel ihr ein, Hagen könnte die Warnung auf sich allein
Weitere Kostenlose Bücher