Rheingold
du noch einmal darüber nach, ehe du zu Attila aufbrichst.« Das Pendel des Schicksals schien in dem Schweigen nach beiden Seiten zu schwingen, aber dann sagte Hagen mit tödlicher Ruhe: »Auch Sigfrids Kraft konnte seinen Tod nicht verhindern. Willst du in die Halle eines Mannes gehen, der nach deinem Gold giert?«
»Sprich nie wieder von Sigfrid zu mir!« brüllte Gunter, und es klang wie der Schrei des verwundeten Keilers, der nur mit seinen Hauern gegen die Speere kämpfen konnte, die ihn trafen und seinen Zorn zu wilder Wut entfachten, ihm aber den Tod brachten. »Du hast mir geraten, ihn zu töten. Du hast ihn ermordet, obwohl ich erklärt hatte, die Jagd sei zu Ende. In Sigfrid lebte die Hoffnung unseres Volkes. Mit ihm ist sie gestorben! Warum sind jetzt die meisten meiner Untertanen Christen? Dein Rat hat mir so viel Unheil gebracht wie der Rat deines Vaters, mit dem er meine Mutter ins Verderben zog!« Das Weinglas in Hagens Hand zersprang. Die Scherben fielen klirrend auf Tisch. Der rote Wein spritzte wie Blut durch den Raum. Gunter wurde bleich. Das Blut wich ihm aus dem Kopf. Er preßte die Lippen zusammen und richtete sich auf. »Hast du Angst?« fragte er tonlos. »Hältst du dich aus Angst immer in meinem Rücken... in der Schlacht, auf der Jagd? Hast du deshalb nie die Heldenportion gefordert?«
»Wenn du noch immer an meinem Mut zweifelst, dann urteile selbst, wenn ich sage: Du mußt in dieser Sache die Entscheidung treffen. Wenn du die Einladung annimmst, werde ich dich begleiten, obwohl ich es sehr ungern tue.« Er schwieg und sagte dann leise: »Was du gesagt hast, hättest du nicht sagen dürfen. Sage es nicht noch einmal!«
Gunter erwiderte nichts. Alles drehte sich vor seinen Augen, und er schwankte. Langsam setzte er sich wieder und atmete nach einer Weile wieder ruhiger.
Hagen fragte: »Wann sollen wir aufbrechen?« »Morgen, sobald alles vorbereitet ist. Bei dem schlechten Wetter brauchen wir viel Zeit, um am Julfest bei Attila zu sein.«
»Gut, dann kannst du hierbleiben und schlafen. Ich werde mich um alles kümmern.« Noch einmal werde ich versuchen, einen Erben zu zeugen, dachte Gunter erschöpft, aber er wußte sehr wohl, es würde wieder ein vergeblicher Versuch sein.
»Laßt uns darauf trinken«, sagte Wingi erleichtert, »geht nicht im Zorn auseinander. Das wäre ein schlechter Anfang für die Reise.« Er hob sein Glas, trank, reichte es Gunter, der es stumm entgegennahm und durstig trank. Dann gab er es Hagen. In dem blaugrünen Glas war nur noch wenig Wein. Hagen ließ ihn langsam über die Zunge fließen. Er setzte es ab, nahm den Drachenring und schob ihn über den Mittelfinger seiner rechten Hand. Das Gold schien zu glühen, als sei es gerade aus der Esse des Goldschmieds gekommen. Der Arm wurde ihm schwer, aber die glatten Drachenschuppen lagen geschmeidig um den Finger, als habe er den Ring schon immer getragen.
*
Hagen verließ die Kammer seines Bruders und schloß leise die Tür. Nibel stand im Gang. Die Fackeln waren alle erloschen. In der Dunkelheit hätte ihn vermutlich niemand außer Hagen gesehen. »Wie lange bist du schon hier?« fragte er seinen Sohn. »Seit ihr hineingegangen seid.«
Costbera wartete am Feuer, als Hagen und Nibel das Haus betraten. Sie klopften den Schnee von den Schuhen und schüttelten die Mäntel aus, ehe sie die Sachen zum Trocknen neben den Kamin hängten. »Ich muß mit dir sprechen«, sagte Costbera zu Hagen. »In deiner Kammer oder hier?«
»Hier.«
Hagen sah seinen Sohn an, der lächelte und dann seine Mutter auf die Wange küßte. »Gute Nacht, Mutter«, sagte Nibel, »gute Nacht, Vater. Weck mich, wenn wir aufbrechen.« Er ging leise in den Raum, den er mit seinen beiden Brüdern teilte.
Hagen setzte sich neben seine Frau und wartete. Costbera starrte schweigend ins Feuer. Die blauen Flammen über der Glut schienen fahler als gewöhnlich. Ihre Augen waren von Kummer überschattet. Die Lippen hatte sie fest zusammengepreßt.
»Was ist?« fragte er schließlich. »Warum machst du dir solche Sorgen?«
»Willst du wirklich zu Attila reiten?«
»Gunter hat es beschlossen, und ich muß ihn begleiten.«
»Das ist eine schlechte Entscheidung. Wenn ihr den Hunnenkönig besuchen wollt, dann nicht jetzt. Du kannst Runen nicht gut lesen, wenn du glaubst, deine Schwester möchte, daß ihr kommt.«
»Was willst du damit sagen? Ich habe nicht gewußt, daß du die Runen kennst.«
Costbera sah Hagen an. Er glaubte wieder, das entsetzte
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