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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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gesehen?«
    »Etwas gesehen?« wiederholte der Krieger und schüttelte das regennasse Haar und den Bart, »ich konnte nicht mal meinen... Vergebung, Frowe Schwanhild... es war zu dunkel, um da draußen etwas zu sehen.«
    Schwanhild errötete, und Dagabert lachte, beugte sich vor und küßte sie auf die Wange. Das hohle dreimalige Klopfen ertönte noch einmal, und Dagabert verschlug es das Lachen. Schwanhild empfand den Klang wie ein erregendes Prickeln in ihrem großen Körper, und in ihrem Kopf war ein Dröhnen, als sei die Halle eine große Glocke geworden. Sie atmete tief; die Luft erfüllte sie mit einer schwindelerregenden, beseligenden Leichtigkeit, wie Schwanhild sie in ihren sechzehn Jahren noch nie erlebt hatte, nicht einmal in der trunkenen Erregung ihrer Hochzeitsnacht. Leicht wie eine Feder sprang sie auf, aber Dagabert hielt sie mit seiner großen Hand sanft zurück.
    »Ich glaube, du solltest das nicht tun, mein Schwan«, sagte er, und wie immer sprach er langsam, aber mit Entschiedenheit. »Du weißt nicht, wer - oder was - da draußen ist. Ich werde gehen.« Schwanhild blickte auf ihren breitschultrigen, muskulösen Mann, der aufrecht auf seinem Thron saß. Er hielt einen kostbaren, mit Blumengirlanden verzierten römischen Glaspokal in der einen Hand und ihren Arm in der anderen. Er hielt beides mit derselben behutsamen, sanften Festigkeit, als befürchte er gleichermaßen, das zarte Glas oder die kräftige junge Frau zu zerdrücken und damit zu verlieren. Sein verwittertes Gesicht war leicht gerötet vom Trinken und der Hitze des Feuers, das in der Mitte der Halle prasselte, und die Sorgenfalten auf der breiten Stirn waren jetzt noch etwas tiefer geworden. Bei einer anderen Gelegenheit hätte Schwanhild nie daran gedacht, ihm zu widersprechen, aber der seltsame Klang dieses Klopfens, der in ihrer Seele hallte wie der wilde Ruf eines Jagdhorns an einem nebligen Wintermorgen, hielt sie immer noch in seinem Bann. »Mensch oder Troll, das ist keine Nacht, um jemanden vor unserer Halle warten zu lassen«, erwiderte Schwanhild mit ihrer sanften Stimme, aber es klang so endgültig wie ein Stein, der zur Erde fällt. Sie griff nach Dagaberts leerem Pokal und füllte ihn aus dem Bierkrug aus römischer Bronze, der vor ihnen auf dem Tisch stand. Dann ging sie zwischen den Tischen hindurch, die von einem bis zum anderen Ende der Halle standen, und wünschte plötzlich, daß die braunen Zöpfe auf ihrem Kopf dicker gewesen wären. Sie spürte, wie ihre weichen vollen Brüste sich plötzlich fest gegen den dünnen Wollstoff drückten - so fest, wie sie es unter Dagaberts Berührung noch nie getan hatten.
    Es klopfte zum dritten Mal. Schwanhild stockte der Atem, und ihr Herzschlag setzte aus. Mit zitternder Hand schob sie den schweren Riegel zurück, als wäre er ein dünner Ast und drückte schnell das Tor auf, weil sie plötzlich fürchtete, der geheimnisvolle Gast könnte davongehen und sie für immer warten lassen.
    Zuerst sah sie nur einen großen dunklen Schatten im Licht, das aus der Halle drang. Sie hielt den Atem an, als er auf sie zutrat und eine Hand sich ihr entgegenstreckte; dann traf sie der strahlende Glanz seines hellen Auges unter der Kapuze wie ein Blitz. An allen Gliedern zitternd machte sie ein paar Schritte vorwärts; sie konnte der großen Kraft nicht widerstehen, die sie in ihren Bann gezogen hatte und sie jetzt zu umfassen schien. Der seltsame Gast trat in die Halle, nahm den Pokal entgegen, trank das dunkle Bier in einem einzigen Zug und reichte ihn zurück. Als Schwanhilds Blick wieder klar wurde, sah sie vor sich einen großen kräftigen Mann - er war mindestens einen Kopf größer als sie selbst, und sie überragte manchen Krieger -mit einem grauen Bart. Er trug einen durchnäßten dunklen Umhang mit einer weiten Kapuze, die über ein Auge fiel. Der Schaft seines Speers war alt und viel benutzt. Zuerst glaubte sie, feurige Zeichen darauf zu sehen, aber als sie genauer hinsah, war das Holz nur glatt und dunkel. Hinter Schwanhild entlud sich das gespannte Schweigen in der Halle in johlendem Gelächter.
    »Das muß wirklich die Halle eines Edelmanns sein!« rief jemand. »Sogar ein alter Bettler wird wie ein Drichten begrüßt!«
    Dagabert lachte mit seinem dröhnenden Baß und antwortete: »Ja, es ist die Halle eines Edelmanns! Schwanhild, führe unseren Gast zu mir! Niemand bleibt hungrig oder ungeehrt, wo Dagabert der Drichten ist!«
    Die Männer an den langen Tischen schlugen die

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