Rheingold
Trinkhörner aneinander, und Bier schwappte auf das knotige, fleckige Holz. Schwanhild blickte erschrocken zu dem Wanderer auf. Ihre weißen Wangen röteten sich vor Verlegenheit. Sie schämte sich für ihren Mann und seine Krieger, denn sie
dachte: Ein Bettler? Sehen sie denn nicht... ? Aber das eine Auge des Wanderers funkelte nur in mißfälligem Lächeln über die Blindheit der Menschen. Doch in einer plötzlichen Eingebung verstand Schwanhild, daß das, was die Männer sahen, seinem Willen entsprach. Sie mußten ihn so sehen. Schwanhild lächelte verlegen und führte den Gast zum Sitz ihres Mannes an der Stirnseite der Tafel. Sie füllte den gläsernen Pokal für Wotan und brachte Dagabert den Bronzebecher.
»Nenne uns deinen Namen, Gast, wenn du willst, und sage, wohin du gehst«, rief Dagabert über den Lärm in der Halle hinweg. »Ich heiße Herobart«, antwortete der Wanderer, »und ich bin unterwegs nach Norden, zur Rheinmündung, um einen Mann namens Sigmund zu treffen, mit dem ich verabredet bin.«
Dagabert strich sich über den lockigen braunen Bart; die angetrunkene Fröhlichkeit legte sich etwas. »Der Weg kann schwierig sein, besonders wenn der Winter vor der Tür steht. Hoffst du, eine Gruppe zu finden, mit der du ziehen kannst?«
Herobart schüttelte den Kopf. »Ich komme allein schneller voran. Ich habe weder Gold noch Edelsteine bei mir, aber mein Speer ist gut genug. Ich kann mich jederzeit auf ihn verlassen. Nicht jeder Drichten ist so großzügig und gastfreundlich wie du, aber ein Skalde findet immer eine Unterkunft für eine oder zwei Nächte.« Schwanhild bemerkte, daß ihr
Mann sich etwas entspannte. Die Falten auf seiner Stirn glätteten sich, als er sich auf dem schweren Eichenstuhl zurücklehnte.
»Ein Skalde, hmm?« fragte Dagabert, und seine tiefe Stimme klang freundlich. »Kann dieser Trunk dir die Kehle ölen, damit du heute für uns singst?«
Herobarts Mundwinkel verzogen sich zu einem stummen Lächeln, als Schwanhild das dunkle Bier in den blaugrünen Pokal goß. Nur sie sah das Lächeln und erwiderte es in stillem Einverständnis. »In Dagaberts Halle ist ein Skalde immer willkommen«, sagte sie so huldvoll, wie sie es von ihrer Mutter in der Halle ihres Vaters gehört hatte. Sie mußte sich beherrschen, um nicht leidenschaftlich aufzustöhnen, als sie den Pokal dem Wanderer reichte und seine kräftige Hand sie berührte und prickelnde Wärme durch ihren Körper schoß.
Herobart trank mit großen Schlucken, wischte ein paar braune Tropfen von seinem struppigen Bart, erhob sich und stieß mit dem Schaft seines Speers auf den Boden. Erschrockene Augen richteten sich auf die Waffe, und kämpf gewohnte Hände faßten die Dolche fester. In der Halle breitete sich Spannung aus. Der Skalde lehnte den Speer an die Wand.
»Auf deinen Wunsch, Drichten Dagabert und auf deinen, Frowe Schwanhild«, begann er und verneigte sich vor ihnen, »werde ich das Lied von Mannus singen, der Vater dreier Stämme wurde.«
Herobart holte tief Luft und setzte das Glas noch einmal an die Lippen, bevor er mit einer so kraftvollen Stimme das Lied begann, daß jedes Flüstern verstummte. Sein Gesang erfüllte die Halle wie der Wind, der durch eine große Harfe streicht.
Tuisto, der starke / entstieg der Erde zuerst,
er war Mutter / und Vater zugleich
dem Mannus dem Strahlenden / mächtig und klug,
Heil Mannus / der Menschen Vater!
Über die blühende Erde / zu einer Hütte kam er...
Schwanhild nahm den großen Krug mit Bier, ging durch die Halle und füllte die Trinkhörner von Dagaberts Männern. Bärtige Gesichter wandten sich gebannt der schattenhaften Gestalt des Sängers zu; Augen wurden feucht, als in ihnen die Bilder einen vergangenen Zeit aufstiegen, die seine Geschichte beschwor. Nur wenn sie das Horn an den Mund hoben, sah man, daß sie lebendig waren und die Macht seines Liedes mit gutem starkem Bier nährten.
Für drei lange Nächte / lag er bei ihnen,
hochherziger Mannus / mächtig und klug.
So ward ihm ein Sohn / Thrael war sein Name
Er hütete das Vieh / ein Sklave zuerst.
Stark waren seine Sehnen, aber / gebeugt war sein Rücken,
häßlich das Gesicht wie Mist / mit Schmutz verschmiert.
Er schleppte schwere Lasten / trug Holz in sein Heim,
nahm sich zur Frau / eine dickliche Magd.
Von diesen beiden stammt / die Sippe der Knechte,
die Töchter und Söhne / aller, die dienen.
Mannus ging weiter / mächtig und klug, Heil Mannus / Vater der
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