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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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packte seine Schwester, und sofort begann eine kleine Rauferei. Aber Siglind sprang bald leichtfüßig zur Seite. »Genug!« rief sie und richtete sich würdevoll auf, »ich möchte hübsch sein, wenn mein Bräutigam hier erscheint.«
    »Deine Brosche sitzt schief«, sagte Sigmund, »komm, ich richte sie dir.« Er löste die kleine goldene Brosche an ihrer Schulter und steckte sie sorgfältig wieder fest. So dicht bei ihr spürte er die schnellen, sanften Atemzüge und die prickelnde Erregung seiner Schwester. Sigmund verstand die neugierige Erwartung und das Rot auf den blassen Wangen so gut, als seien es seine eigenen Empfindungen. Ihn überkam dasselbe Gefühl jedesmal, wenn er die Hand um einen glatten Schwertgriff legte, und er dachte sehnsüchtig an die Kämpfe im Sommer, die mit jedem länger werdenden Tag näher rückten. Sigmund zog den kleinen Hornkamm seiner Schwester aus ihrem Gürtelbeutel und ließ die Finger über die eingeritzten Runen gleiten. »Soll ich dir die Haare kämmen? Sie sind völlig zerzaust.«
    »O ja, bitte«, erwiderte Siglind und suchte im Gras einen trockenen Fleck zwischen den Kuhfladen, bevor sie sorgfältig das Kleid um sich ausbreitete und sich setzte. Sigmund fuhr mit dem Kamm sanft durch ihre weichen schimmernden Haare, aber im nächsten Augenblick sprang Siglind schon wieder ungeduldig auf. »Du bist so langsam«, beklagte sie sich, »gib mir den Kamm. Ich mach es selbst.« Sie riß ihm den Kamm aus der Hand und ordnete mit wenigen energischen Handbewegungen ihre blonden Haare. Dann gab sie ihrem Bruder den Kamm zurück und klopfte mit den Handflächen den Rock ab. »Mein Kleid hat doch keine Flecken?« fragte sie ängstlich, »schau mal am Rücken. Ich kann nichts sehen.«
    »Dein Kleid ist in Ordnung«, versicherte ihr Sigmund. Siglind verdrehte den Kopf, zog den Rock nach vorne und betrachtete ihn genauer. »Du bist ja blind!« rief sie ärgerlich. »Hier ist ein Fleck. Was soll ich nur machen, Sigmund? Das ist doch mein Hochzeitskleid.«
    »Niemand wird etwas sehen. Ich versichere dir, der kleine Fleck wird niemandem auffallen«, erklärte Sigmund beruhigend. Aber seine Schwester hatte sich bereits umgedreht und rannte zur Halle. Durch die kreuzweise geschnürten Lederriemen ihrer Schuhe sah man hell die weißen Knöchel aufleuchten. Der Wind von der Nordsee frischte auf und blies die Schiffe schneller flußaufwärts. Die jungen grünen Blätter und die weißen Blüten des großen Apfelbaums bewegten sich im Wind. Der alte Baum, das Symbol der Wälsungen stand in der Mitte von Wals' Halle. Seine Äste ragten hoch über das große Schilfdach. Sigmund konnte bereits Siggeirs Männer sehen, die sich schwer in die Riemen legten. Sie mußten gegen die noch immer heftige Strömung des Flusses ankämpfen, der nach den letzten Stürmen des Winters als grünlichbraune Flut dem Meer zutrieb. Wals' Gefolgsleute kamen aus der Halle. Es war ein stattliches Aufgebot, das sich bereit machte, Siggeir, den Ingling, als Siglinds Bräutigam zu begrüßen. Ihre Umhänge in dunklem Marderrot, leuchtendem Gelb oder Hell- und Dunkelblau flatterten im Wind. Als Zeichen von Wals' Reichtum und Großzügigkeit glänzten goldene Reifen an den Armen seiner Krieger; viele trugen in kunstvoll mit Gold-und Silberfäden durchsetzten Lederscheiden kostbare Schwerter. Sigmunds Blick wanderte langsam von einem zum anderen. Seine beiden Vettern Adalwald und Alfwald standen Seite an Seite, die breiten Oberkörper und kräftigen Schultern wirkten nebeneinander wie ein Schild wall. Der kahle Kopf von Wals' Adoptivbruder Bertnot glänzte in der Sonne. Der schwarzhaarige Däne Rotwulf fiel aus der Reihe, denn er war einen Kopf kleiner als die anderen. Aber er stand hochaufgerichtet mit vorgestrecktem Kinn und geballten Fäusten, als sei er zum Zweikampf angetreten. Bertwini, Sigmunds jüngerer Bruder, stellte sich auf die Fußspitzen und reckte den dünnen Hals, um möglichst als erster einen Blick auf den Mann zu werfen, der seine Schwester mitnehmen würde. Viele Gefolgsleute gehörten zu Sigmunds Sippe, die anderen kamen vom umliegenden Land. Die meisten Männer waren reich genug, um ihre Bauernhöfe für das Leben eines Kriegers zu verlassen. Manche besaßen kein eigenes Land. Sie lockte Wals' Ruf als siegreicher Kämpfer und die Aussicht, unter einem so mächtigen Drichten Gold und Ansehen zu gewinnen. Sigmund eilte die sanft ansteigende Wiese hinauf und nahm aufrecht und schlank wie ein junger Schößling bei

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