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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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Gesicht und kehrte zu Wals zurück, der sie ernst ansah. Aus seinem Beutel am Gürtel zog er einen kleinen, schmalen Dolch, in dessen dunklen Griff der Kopf eines Falken geschnitzt war. »Er hat deiner Mutter Hild gehört«, sagte er, und sein tiefer Baß klang brüchig, »halte ihn in Ehren, Siglind. Er soll dich immer an sie erinnern ...« »Ich schwöre, ich werde Wotans Walküre nie einen Grund geben, sich meiner zu schämen. Sie soll immer stolz auf mich sein, wie es sich für eine Tochter von Wals gehört«, antwortete Siglind. Hoch aufgerichtet nahm sie den Dolch von ihrem Vater entgegen und schob ihn unter das seidene Band, das ihre Hüfte umgürtete. Siglind sah alle noch einmal an, bis sie die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Dann ging sie aufrecht, langsam und würdevoll, wie es sich für eine verheiratete Frowe ziemte, auf das Schiff. Sigmund wartete, bis der Steg eingeholt war, die hölzernen Ruder im gleichmäßigen Takt ins Wasser schlugen und die kleine Flotte von der Strömung davongetragen wurde. Er sah den Schiffen noch nach, als die bauchigen weißen Segel in der Ferne zu winzigen Wölkchen wurden und schließlich in der grauen Gischt der Nordsee verschwanden. Erst dann bemerkte Sigmund, daß er allein am Ufer stand. Wals, Alflad, seine Brüder und alle anderen waren bereits gegangen, um mit den Arbeiten anzufangen, die durch die unerwartete Abreise angefallen waren. Sigmund legte die Hand auf den glatten Kristall an seinem Schwertknauf. Das Echo der Kraft durchpulste ihn sanft wie das Blut in seinen Adern. Wie ein noch ferneres Echo stärkte ihn die Seele seiner Zwillingsschwester, und seine Tapferkeit kehrte zurück, als er an sie dachte.

9
DIE FROWE
    Siglind stand in der Sonne vor der großen Halle ihres Mannes. Sie hob die Arme und löste den dicken blonden Zopf, der wie Gold schimmerte und langsam den Rücken hinunter sank. Eine schwache Brise ließ das reife Korn wogen, das Hügel und Tal überzog, bis hin zum dunklen Waldrand, wo die Kiefern leise rauschten, und bis hinunter zum glitzernden Blau der stillen Bucht. Siglind strich die Falten ihres leichten himmelblauen Kleides glatt. Ihre Hände verweilten über dem gewölbten Leib. Sie wartete auf die ersten Bewegungen des keimenden Lebens in ihr.
    »Von dieser Stelle aus wirst du sie nicht als erste sehen, mein Kind«, krächzte eine Stimme in ihrem Rücken. Siglind fuhr erschrocken zusammen, drehte sich schnell um und starrte auf Siggeirs Mutter. Kara überragte ihre Schwiegertochter um eine Handspanne. Sie hatte aschgraue Haare; ihre Wangen waren eingefallen, so daß die spitzen Wangenknochen und das lange Kinn hervortraten. Für ihr Alter war sie noch immer erstaunlich beweglich. Nur ihre Stimme verriet wie der dunkle morsche Kern eines starken alten Baumes ihr wahres Alter. Ein modriger Geruch von getrockneten Kräutern hing an ihrem marderroten Leinenrock, der Tunika und dem dunkelgrünen Umschlagtuch, das sie um die breiten Schultern trug. Ein Schauder kroch Siglind wie eine Schlange über den Rücken, als sie in Karas leblose, blasse Augen blickte. »Was meinst du damit?« fragte sie so beiläufig wie möglich.
    »Deine Familie natürlich. Mein Kind, heute steht der Mond nicht am Himmel, und du fegst die Halle und starrst auf das Wasser, seit der Mond voll war. Auf wen sonst könntest du warten?«
    Kara klopfte ihr mit der beringten Hand auf die Schulter. Siglind mußte sich überwinden, um nicht zurückzuweichen, aber sie zuckte unter der kalten Berührung zusammen. »Schon gut«, krächzte Kara, »ich weiß noch, wie einsam ich war, als ich die Halle meines Vaters verließ. So alt bin ich noch nicht, mein liebes Kind.« Ihre Pupillen schienen sich zu weiten, als sei sie auf eine schattige Lichtung getreten und wolle Sigünd mit sich ziehen. »Aber du hast einen guten Mann und ein starkes Kind, das in deinem Leib heranwächst. Es wird also nicht lange dauern, bis du deine Brüder vergessen hast. Deine wahre Liebe muß dem gelten, was du hier hast.«
    Ein warnendes Kribbeln durchzuckte Siglind. Sie ballte die Fäuste, preßte die Fingernägel in die Handflächen und befreite sich mit großer Mühe aus den Schlingen der hypnotisierenden Augen dieser unheimlichen Frau; dann senkte Siglind den Kopf und nickte, um nicht ungehörig zu wirken. »Ja, vermutlich«, murmelte sie. »Natürlich, mein Kind«, flüsterte Kara verschwörerisch. Das Gold an ihren Fingern berührte eiskalt die Unterseite von Siglinds Kinn, als sie den Kopf

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