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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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sich wieder neben Siggeir. Ihr Mann sagte nichts, und sie versuchte, seinem Blick auszuweichen. Schließlich verließen die Männer die Halle und kehrten zu den Hütten zurück oder legten sich unter ihre Decken auf das Stroh. Als die zweite Wachmannschaft sich auf den Weg zum Strand machte und die Männer halb betrunken fluchten, weil die Pflicht ihnen eine schlaflose Nacht bescherte, und die erste Mannschaft zurückkam und schimpfte, weil sie das Pech gehabt hatten, nicht am Festmahl teilnehmen zu können, erhob sich Siglind schnell von ihrem Platz und holte Karas Trinkhorn aus der Kammer. Sie füllte es bis zum Rand und schüttelte das Bier, bis es aufschäumte und gut vermischt war. Dann ging sie zu Siggeir zurück.
    »Laß diesen Trank den Frieden zwischen uns erneuern«, sagte sie feierlich, holte tief Luft und begann in der Art der Skalden zu singen, wie er sie gelehrt hatte:
    »Der wilden Tiere / tödlicher Biß 
    wetteifert mit Ägirs / unbezwinglicher Kraft 
    Die strahlende Göttin / der Helden Schutz 
    Bringt den Trank / an die Ting-Eiche.
    Harbards Frowe hörte / einst den Spruch der Liebes-Runen / unserer heiligen Eide,
    die Fesseln der Worte / werden nicht brechen, 
    denn ich bleibe dir / treu an unserem Herd.«
    Zu ihrer Überraschung versagte ihr die Stimme, und die Tränen traten ihr in die Augen. Sie dachte an die vielen Winternächte, die sie in Siggeirs Armen verbracht hatte, an die schöne Zeit, in der sie Wortspiele und Rätsel von ihm lernte, wenn sie, beide in große, dicke Bärenfelle gehüllt, vor dem prasselnden Feuer saßen. Siggeir räusperte sich und sagte dann mit belegter Stimme: »Möge unsere Ehe nie zerbrechen, meine geliebte Frowe.« Er setzte das Horn an die Lippen und leerte es in einem einzigen Zug. Dann erhob er sich leicht schwankend, legte den Arm um Siglind und ging mit ihr durch die kleine Tür in die Kammer.
    Siggeir schlief ein, noch ehe sie sich ausgezogen hatten. Sein Kopf sank zurück, und er begann, mit offenem Mund laut zu schnarchen. Siglind wartete noch eine Weile, bevor sie wieder in ihr Kleid schlüpfte und die Schuhe schnürte. Leise schlich sie durch die hintere Tür ins Freie. Sie dankte den Göttern, daß kein Mond am Himmel stand. Plötzlich fiel ihr ein, daß sie in dem weißen Kleid in der schwarzen Nacht leuchtete wie ein Rabe im Schnee. Schnell eilte sie zurück, griff nach einem Umhang, den sie überwarf, und begann ihren Weg durch den Wald hinunter zum Meer. Siglind machte aus Vorsicht einen langen Umweg, und deshalb dauerte es einige Zeit, bis sie das Ufer erreichte. Sie entdeckte die Hütte eines Fischers, der sein Boot auf den Strand gezogen hatte. Ratlos blickte sie auf die vielen Taue am Mast mit dem schlaffen Segel und die sechs Ruder. Erst als sie um den glatten Rumpf herumging, entdeckte sie ein kleines Ruderboot, das an der Seite vertäut war. Ohne viel Zeit zu verlieren, durchschnitt sie das Seil mit dem Dolch und schob das Boot ins tiefere Wasser.
    Als die Wellen an ihre Oberschenkel klatschten und sie das Boot kaum noch festhalten konnte, biß sie die Zähne zusammen und zog sich an der Seite hoch. Das Boot neigte sich gefährlich unter ihrem Gewicht, aber schließlich gelang es ihr doch, hineinzuklettern, ohne daß es kenterte. Dann griff sie nach den Rudern und begann entschlossen, auf Wals' Schiff zuzurudern. Schon bald keuchte sie, mußte ständig den Griff verändern und wickelte immer mehr von dem Umhang um die Hände, denn sie hatte bereits Blasen von dem rauhen Holz des Ruders. Aber sie ruderte verbissen weiter und betete zu den Göttern, daß sie ihr Ziel sicher und ungesehen erreichen würde. Vor ihr ragte der schwarze Schatten des Schiffes in der Dunkelheit auf. Sie hatte keine Ahnung, was sie tun mußte, um genau darauf zuzusteuern, aber diesmal stand das Glück auf ihrer Seite. Die Wachen am Strand bemerkten das winzige Boot nicht, und die sanfte Strömung trug sie in die richtige Richtung, so daß es nicht allzu lange dauerte, bis das Boot mit einem dumpfen Schlag gegen die dunkle Bordwand stieß. »Wer da?« hörte sie einen Mann rufen. Siglind jubelte innerlich auf. Auch nach neun Jahren war die tiefe Stimme ihres Vaters unverkennbar. Seine große Gestalt erschien an der Bordwand. Er war etwas dicker geworden, aber seine dunkle Silhouette verriet noch dieselbe majestätische Erscheinung wie früher. »Ich bin es, Siglind!« rief sie leise, »bitte hol mich an Bord.«
    Wals neigte sich zum Wasser hinunter, packte Siglind

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