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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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eure Mutter schlimmer als ein Wolf sein kann, wenn sie zornig wird.«
    »Ooch!« klagte Teudorik.
    Harigast sah ihn finster an. »Jammerlappen«, sagte er. »Bin ich nicht. Wer hat heute morgen geheult, weil er in einen Dorn getreten ist?« »Ich habe einen Kriegsruf ausgestoßen. Das war nicht gejammert.«
    »Du hast geheult. Ich habe es doch gehört. Jammerlappen! Jammerlappen! Jammerlappen!«
    »Du bist selber ein Jammerlappen. Du jammerst jedesmal, wenn du dir den Zeh anstößt. Das weißt du genau.«
    »Halt den Mund, oder ich stopfe ihn dir, du Laus!« drohte Teudorik und ging mit erhobenen Fäusten auf seinen Bruder los. Siglind setzte sich bequemer und sah gelassen zu. Sie würde sich nur im Notfall einmischen. Der ferne Klang eines Wachhorns drang durch die Luft. Die beiden Jungen verstummten sofort. Siglind und ihre Söhne blickten zur Halle hinauf und dann zum Aussichtspunkt, wo ein Wächter stand, der plötzlich sein Horn an die Lippen setzte. Der dumpfe, tiefe Klang beantwortete den Ruf aus der Ferne.
    Siglind schlug das Herz schneller. Sie sprang erschrocken auf. In ihrer Kehle saß plötzlich ein Kloß. Sie nahm jeden der Jungen unter einen Arm und rannte durch das hohe Korn den Hügel hinauf. Teudorik und Harigast starrten stumm ihre Mutter an. Der plötzliche Aufbruch erschreckte sie mehr als der warnende Hornruf. Als sie das Tor der Halle erreichten, schob Siglind ihre Söhne hinein, drehte sich um und hielt Ausschau nach Anzeichen für einen nahenden Feind. Die Männer sammelten sich bereits. Siggeirs Gefolgsleute erschienen als erste in Kettenhemden vor der Halle; die freien Bauern kamen etwas später. Die Rufe der Hörner hatten sie von der Arbeit auf den Feldern und von ihren Rinderherden geholt. Noch waren keine Eindringlinge zu sehen, aber die Hörner hatten vor einem Feind in ihrem Land gewarnt. Siggeir verließ in voller Rüstung die Halle. Er faßte Siglind bei den Schultern. Die Metallplättchen seiner Lederhandschuhe waren eiskalt. »Geh hinein, Liebes«, sagte er. Durch den Helm klang seine Stimme gedämpft und entstellt. »Es wird zum Kampf kommen, und ich möchte nicht, daß du in Gefahr bist. Sind die Jungen... ach ja, du hast sie schon hineingeschickt. Geh und paß auf sie auf.«
    »Wer ist es?« fragte Siglind beinahe schreiend. »Sind unsere Söhne hier sicher?«
    Siggeir holte tief Luft. Hinter dem eisernen Gesichtsschutz senkte er die Augen, und sie kannte die Antwort. Nach neun Jahren hatte sie beinahe aufgehört, sich Sorgen zu machen. »Es ist sicher hier«, sagte ihr Mann leise. »Geh in die Halle. Du sollst nicht mit ansehen...« Siglind umklammerte ihren Dolch und erwog kurz, sich auf ihren Mann zu stürzen. Aber sie war eine Wälsung und hatte einen Eid geschworen; auch Siggeir hatte diesen Eid geschworen und ihn bis jetzt nicht gebrochen. Stumm drehte sie sich um und verschwand in der dunklen Halle, ohne auf das Meer hinauszublicken, wo Wals' großes Schiff in der Dünung schaukelte und gerade weit genug vom Ufer entfernt vor Anker ging.
    Fröstelnde Übelkeit ließ sie zittern. Das Leinenkleid klebte an ihrem von kaltem Schweiß bedeckten Körper. Siglind ging langsam zu ihren Söhnen, die am Ende der Halle neben dem Sitz ihres Vaters kauerten. Sie nahm die beiden in die Arme und drückte sie fest an sich, als könne ihre Wärme das Eis schmelzen, das sie bereits wie ein undurchdringlicher Panzer umgab. Von draußen hörte sie das Stimmengewirr der Männer, aber sie verstand nicht, was sie sagten. Als Harigast und Teudorik unruhig wurden, redete sie liebevoll mit ihren Kindern und strich ihnen beruhigend über die Köpfe. Nach einer Weile schliefen sie ein - Harigast in ihrem Schoß und Teudorik an ihre Schulter gelehnt.
    Siglind wußte nicht, wie lange sie schweigend und wartend in der Halle gesessen hatte, als Siggeir erschien. Er nahm den Helm ab und warf die Handschuhe auf den Tisch.
    »Sag mir, Frau«, fragte er mit belegter Stimme und kaum verhohlenem Verdruß, »ist es bei euch üblich, nach einem Sturm ein Festmahl an Bord zu veranstalten?«
    Siglind holte tief Luft und bewegte vorsichtig die gefühllosen Füße, ohne ihre Söhne aufzuwecken. »O ja, damit danken wir Nertuz, die uns guten Wind schickt und vor dem Hinterhalt gieriger Räuber schützt.«
    »Ach ja, ach ja?« murmelte Siggeir und strich mit dem Daumennagel über seinen dünnen Bart, »und weißt du, wie viele Schiffe Wals' Flotte hat?«
    »Das weiß ich nicht mehr«, erwiderte sie wahrheitsgemäß,

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