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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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Fieber hatte. Sonst nichts, ich verspreche es...«
    Siglind roch noch einmal an dem Getränk. »Tollkirsche, damit ich schlafe... lange schlafe. Was noch?« fauchte sie und trat drohend vor die Alte. Ihre Angst machte sich plötzlich in einem Zornesausbruch Luft. »Ich soll schlafen und meine Leute vergessen! Das hast du schon immer gewollt. Ich mußte mich neun Jahre gegen deinen Hexenblick wehren. Und weil du mich jetzt nicht mehr mit deiner Kraft überwinden kannst, willst du mich betäuben!« Dunkles Bier schwappte über den Rand des Horns. Die kalte Flüssigkeit lief über ihre zitternde Hand. »Zur Hölle mit dir, du alte Hexe! Hinaus! Mein Schwur bindet mich nur an Siggeir. Dir habe ich nichts gelobt - geh, geh, ich möchte dich nie wieder sehen! Und wenn du noch einmal versuchst, mich zu verhexen, dann bringe ich dich um, das schwöre ich! HINAUS!« Es klang wie der durchdringende Schrei eines Raben. Bebend vor Zorn zog sie drohend den Dolch ihrer Mutter. Kara starrte ihre Schwiegertochter stumm an, drehte sich um und eilte davon. Siglinds wortloser zorniger Aufschrei verfolgte sie. Nachdem Kara verschwunden war, kämpfte Siglind unter Aufbietung all ihrer Kräfte darum, die Beherrschung wiederzugewinnen. Vorsichtig stellte sie das Trinkhorn ab. Schauer und Krämpfe schüttelten sie. In ihrer Verzweiflung preßte sie die Fäuste gegen ihre Oberschenkel, aber sie zitterte so sehr, daß sie kaum noch stehen konnte. Ihre trockene Kehle schmerzte, und über ihr Gesicht liefen heiße Tränen.
    Nach einer Weile fiel ihr Blick wieder auf das Trinkhorn. Sie nahm es hoch und roch noch einmal daran. Sie wußte, sie hätte das Bier an einem sicheren Platz ausschütten sollen. Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Der Trunk war eine Waffe, die nicht tötete und keinen großen Schaden anrichtete. Der Zauber des Vergessens hätte bei ihr wirken sollen, aber jeder, auch ein starker Mann, würde danach eine Nacht lang tief und fest schlafen - selbst wenn die Halle abbrennen sollte. Sie trug das Horn in die Kammer, die sie mit Siggeir teilte, rückte vorsichtig eine Truhe von der Wand ab und stellte es in den Zwischenraum und schob die Truhe wieder zurück, damit das Horn nicht umfallen konnte.
    Siggeirs Männer aßen am Abend in der Halle; seine Gefolgsleute saßen an den Tischen weiter oben und die Bauern weiter unten. Sie genossen das Mahl besonders, denn auf Kosten des Drichten wurden die besten Speisen aufgetragen. Würfel rollten auf den Bänken, die Männer tranken und lachten und setzten Gold oder Waffen auf ihr Kampf glück am nächsten Tag. Die walisische Magd packte das Essen für die Wachen am Strand in Körbe und verließ damit die Halle. Siglind saß blaß und schweigsam neben ihrem Mann. Sie überlegte, ob Kara diese Aufgabe der stummen Magd übertragen hatte, weil sie der Schiffsbesatzung keine Nachricht von Siglind überbringen konnte. Kara war nicht zu sehen. Vielleicht half sie Helche, die beiden Kinder zu versorgen, oder sie war in den Wald gelaufen, um dort zu sterben. Siglind wußte es nicht und wollte es auch nicht wissen. Der blasse Sommerhimmel war fast völlig dunkel geworden; Siglind füllte in der Vorratskammer gerade einen Krug, als es draußen an das Tor der Halle klopfte. Schnell drehte sie den Faßhahn zu, griff nach dem Dolch und kauerte sich hinter die Fässer. Es dauerte nicht lange, und sie sah Siggeir mit dem Helm in der Hand durch den Vorraum kommen, um das Tor selbst zu öffnen.
    Draußen stand keuchend ein Junge. Die Fackel an der Wand leuchtete rot auf seinem schweißbedeckten Gesicht und dem nackten Oberkörper.
    »Hewagast schickt mich!« stieß er atemlos hervor, »ich soll dir sagen ...« Er beugte sich vor, als habe er einen Krampf. »Was«, fragte Siggeir ungeduldig, »sag es schon!«
    Der Junge holte tief Luft, hustete und sprudelte dann noch immer atemlos hervor: »Fünf Schiffe... alle im Sturm untergegangen... keine Überlebenden... wir haben ein Banner mit Wals' Apfel gefunden.«
    Siglind stockte der Atem. Wie betäubt starrte sie in den nachtschwarzen Himmel. Siggeir stand mit dem Rücken zu ihr. Sie verstand seine nächsten Worte nicht, aber er ließ den Jungen eintreten. Siglind verließ das Versteck und griff nach dem vollen Krug. Als sie wieder in die Halle kam, kaute der Junge ein Stück Käse. Die Käserinde und Brotkrümel auf seinem Holzteller verrieten, daß er bereits kräftig zugegriffen hatte. Siglind füllte ihm einen leeren Becher mit schäumendem Bier und setzte

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