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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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zurückgewinnen, Wals und unsere Brüder rächen...«
    »Ja.«
    Das heller werdende Licht des Tages leuchtete in Siglinds blauen Augen, als sie zu ihrem Bruder aufblickte und leise sagte: »Ich habe die Nacht mit mir gerungen. Nichts ist grausamer, als die eigenen Kinder dem Schicksal auszuliefern, und ich weiß, es ist auch mein Tod. Aber mein Schwur bindet mich, und ich werde unserer Mutter keine Schande machen. Ich füge mich in mein Los, denn du lebst, und wenn einer meiner Söhne das Unrecht wiedergutmachen kann, dann bin ich zu jedem Opfer bereit, denn ich bin eine Wälsung.«
    »So haben wir es als Kinder schon geschworen. Weißt du noch, wie die alte Hulde uns immer wieder die Geschichte unserer Ahnen erzählte, angefangen von Wotans erstem Sohn Sigbert, und uns beschwor, es diesen Helden gleichzutun, die nach dem Willen der Götter lebten? Wenn sie noch am Leben wäre und uns jetzt sehen könnte, wenn sie wüßte, was
    hier geschehen ist - was glaubst du, würde sie uns raten?«
    »Stark zu sein und niemals aufzugeben, unsere Kraft zu sammeln und wenn die Zeit gekommen ist, Rache zu nehmen«, erwiderte Siglind, ohne nachzudenken. Das Licht des frühen Morgens warf einen silbrigen Glanz über die Tränen auf ihren Wangen. Ihr Gesicht war so weiß wie das Gefieder eines Schwans, aber aus ihren feinen Zügen sprach ruhige Entschlossenheit.
    Als Sigmund seine Schwester ansah, stiegen auch ihm die Tränen in die Augen. Zärtlich fuhr er mit einer Hand über ihre feuchten blonden Haare und drückte sie mit der anderen fest an sich. »Ich liebe dich«, murmelte Sigmund in ihr Ohr. »Ich brauche ein paar Tage, um hier einen Platz zu finden, wo ich leben kann. Dann werde ich den Erulier wieder rufen und ihn fragen, was zu tun ist. Kannst du es wirklich ertragen?«
    »Um mich mußt du dir keine Sorgen machen.« Siglinds Stimme klang so hell und klar wie damals am Morgen ihrer Hochzeit. »Ich bin Wals' Tochter, und ich kann tun, was ich tun muß.«
    Sigmund musterte sie fragend. Aber in den klaren Augen spiegelte sich nur der Himmel wie in einem stillen See, und es gelang ihm nicht, durch das helle Blau hindurchzusehen. Siglind löste sich aus seinen Armen, ging zu dem Bündel und zog eine gelbe Tunika und eine graue Hose heraus. Er zog sich an und wandte dabei den Blick von seiner Schwester, denn jetzt machte ihn seine Nacktheit verlegen. Sie verschnürte das Bündel wieder und sagte: »Laß es dir gut gehen, mein Bruder.«
    »Laß es dir gut gehen, meine Schwester«, erwiderte Sigmund. Er küßte sie auf den Mund. Ihre Lippen schienen miteinander zu verschmelzen, als die wundersame Wärme der Berührung sie beide durchströmte und stärkte. Dann wandte Sigmund sich ab. Siglind sprang über einen gefallenen Ast und verschwand zwischen den Bäumen in Richtung Norden.

13
DIE LIST
    Mit Teudoriks Tod setzte der Winter ein. Der tödliche Biß der schwarzen Schlange hatte sein Leben geraubt, aber mit diesem Unglück begann für alle eine schreckliche Zeit. Als Siggeir seinen toten Sohn in die Arme nahm, um ihn der Erde zu übergeben, legte sich eine eiskalte Faust um sein Herz. Am nächsten Tag war die Erde hart gefroren. Das ganze Land erstarrte unter einer Eisdecke. Wilde Schneestürme heulten Tag und Nacht. Eine der besten Milchkühe aus Siggeirs Herde erfror, noch ehe die Rinder in die langen Ställe getrieben werden konnten. Ein junger Stier verirrte sich im Schneesturm und wurde nicht wieder gefunden. All das schien Siggeir mit unnatürlichem Gleichmut hinzunehmen. In den folgenden Wochen saß er öfter in seiner Kammer als bei seinen Gefolgsleuten in der Halle. Er starrte trübsinnig und frierend in die heiße Glut, als könne sie ihn nicht wärmen. Wenn Siglind sich unter seine Leute mischte, hörte sie immer häufiger unzufriedene Worte. »Das Glück hat ihn verlassen«, murmelten sie, »er hat die Angehörigen seiner Frowe getötet, und die Götter wenden sich nun gegen ihn.« So flüsterten sie miteinander, und die Jüngeren erwogen bereits, im Frühling zu einem anderen Drichten zu ziehen, dem sie folgen würden. Es kam immer wieder zu Streitigkeiten in der kalten Halle. Wütend wurde der Dolch gezogen, wenn beim Würfeln Uneinigkeit entstand oder ein unbedachtes Wort die verbitterten Gemüter verletzte. Siglind blieb bei Harigast, so oft sie konnte. Sie stapfte mit ihm durch den tiefen Schnee zur Vorratshütte, wenn sie Käse oder Getreide holen mußte, und ließ ihn das kleine Holzschwert schwingen, bis seine

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