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Rheingrund

Rheingrund

Titel: Rheingrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Kronenberg
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über die Stadt und das Rheintal bis hinüber nach Mainz auf der anderen Seite des Stroms. Bei diesem Wetter könnte man mit Glück bis in die Nerotalanlagen unterhalb des kleinen Weinbergs blicken, vermutete Norma und befürchtete, den Weg umsonst zu machen. Und doch: Unter dem gewölbten Dach des Tempelchens hatte ein Mann Schutz gesucht. Norma rief sich das Foto aus Tasmanien in Erinnerung. Darauf zeigte sich Bieler alias Lambert mit schlankem Körperbau, langen Armen und kräftigen Händen. Schulterlanges, gewelltes Haar umrahmte sein Gesicht. Die Gestalt dieses Mannes verbarg sich unter einer unförmigen Wachsjacke. Wie auf Schnüre gezogen, perlten die Regentropfen von der hohen Stirn. Die Haarspitzen krümmten sich zu runden Haken und klebten ihm schwer im Nacken. Die rechte Hand in der Jackentasche verborgen, hielt er sich mit der kräftigen linken Faust eine Digitalkamera vor das Gesicht. Ohne die Füße zu bewegen, schwang er in der Hüfte herum und fing das Panorama der Stadt ein, deren Mosaik aus Dächern, Türmen und Baumkronen im Regen zerfloss.
    Norma schob die Kapuze zurück. »Herr Lambert?«
    Er wandte sich überrascht um und ließ die Kamera sinken. Die Hornbrille saß verkantet auf der ausgeprägten Nase. Regentropfen verschleierten die Gläser. »Ja, bitte? Entschuldigung, kennen wir uns?«
    Unwillkürlich suchte Norma nach Ähnlichkeiten mit Inga. Die dunklen Haare. Das sanft gerundete Kinn. Beides konnte passen. »Kai Kristian Lambert?«
    »Woher wissen Sie, wer ich bin?«
    Norma wies mit ausgestrecktem Arm auf die menschenleere Grünfläche, die den Pavillon von dem Restaurant und Café trennte, das etwa 50 Schritte entfernt lag. »Weil sonst niemand hier ist! Kein Wunder, bei dem Wetter! Der junge Mann im Hotel hat mir verraten, dass Sie auf dem Neroberg zu finden sind.«
    »Lenny? Was fällt dem ein!«
    »Bitte, seien Sie nicht zu streng mit ihm.« Norma lächelte versöhnlich. »Ich habe Ihren Sohn angeschwindelt.«
    Sie hatte im Hotel nur den Jungen angetroffen und ihm eine Lügengeschichte aufgetischt. Kein Hexenwerk bei dem sympathisch und gutmütig wirkenden Lenny.
    Lambert griff nach der Brille und zog das Gestell zur Nasenspitze herunter, um Normas Visitenkarte in Augenschein zu nehmen. »Eine Private Ermittlerin? Ich hoffe, Sie haben einen triftigen Grund, mir die Zeit zu stehlen. Ich bin damit beschäftigt, Material über Wiesbadens Sehenswürdigkeiten zu sammeln.«
    »Bei uns gibt es eine Menge zu entdecken.«
    Er warf ihr einen nachdenklichen Blick zu, bückte sich dann und bugsierte die Kamera in die Tasche zu seinen Füßen. »Das meiste ist mir bekannt. Ich habe mehrere Jahre in dieser Stadt gelebt.«
    »Drehen Sie einen Dokumentarfilm?«
    Er tauchte wieder auf. »Ja, über Wiesbaden und den Rheingau. Im Auftrag des Hessenfernsehens. Aber deswegen sind Sie wohl nicht hier?«
    Norma schaute zu dem Turm hinüber, dessen eckige Silhouette mit dem dahinter aufragenden Waldrand verschmolz. Nur die weißen Sonnenschirme trotzten der schlechten Sicht und leuchteten herüber. Mehr erinnerte nicht an das schlossartige Hotelgebäude, das in den 80er-Jahren bis auf die Grundmauern niedergebrannt war und ihr nur von den historischen Aufnahmen aus Lutz Tanns Bildbänden bekannt war.
    »Warum gehen wir nicht ins Café?«
    Er stimmte zu. »Ich könnte etwas Warmes vertragen.«
    Nebeneinander strebten sie – Norma bis zu den Augenbrauen unter der Kapuze versteckt und Lambert ohne Kopfbedeckung – durch den Regen auf den Turm zu. Die Klinkermauern waren schwarz vor Nässe. Sie luden die tropfnassen Jacken an der Garderobe ab und setzten sich an einen Tisch am Fenster. Lambert stellte die Tasche mit der Kamera auf den Stuhl an seiner Seite, als dürfte er sie nicht aus den Augen lassen. Sie waren die einzigen Gäste. Der junge Mann an der Theke schien froh über die Abwechslung und nahm sofort die Wünsche entgegen: Einmal Kaffee, schwarz, und einen Milchkaffee.
    Sie warteten. Eine leichte Verlegenheit breitete sich aus. Norma dachte an den blauen Fleck und zupfte eine Strähne in die Stirn.
    Lambert strich sich mit gespreizten Fingern die Haarkringel aus dem Kragen, bevor er die Brille abnahm und die Gläser mit einer Papierserviette trocken rieb. »Also, Frau Tann! Warum wollen Sie mich sprechen?«
    »Was sagt Ihnen der Name Marika Inken?«
    »Sie sprechen von Bernhard Inkens Frau?«
    Norma nickte zustimmend.
    Lambert wurde erfreulich gesprächig. »Bernhard ist ein Jugendfreund aus Dresden.

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