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Rheingrund

Rheingrund

Titel: Rheingrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Kronenberg
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denen wir uns oft trafen. Marika gehörte zu diesen vielen Rätseln meines neuen, freien Lebens.«
    »Und Bernhard?«
    »Ich glaube, er hat sich überhaupt nicht vorstellen können, dass sie ihn betrügen könnte. Und von mir hat er es erst recht nicht erwartet. Ich stand tief in seiner Schuld. Er hat mir geholfen und Arbeit gegeben, obwohl mit mir wenig anzufangen war. Ich fühlte mich völlig aus der Bahn geworfen. Diese Haftzeit … Danach ist man nicht mehr derselbe Mensch.«
    Er schwieg eine Weile, und Norma hütete sich, ihn zu drängen. Als er weitersprach, erzählte er von Marika. »Sie war genauso haltlos wie ich. Immer wieder unterbrach sie unsere Beziehung. Auch in der Zeit, als sie schwanger wurde, war ich abgemeldet. Bernhard hat sie auf Händen getragen. Er wollte unbedingt Kinder. Eine Familie war für ihn das höchste Glück. Inga war schon ein Jahr alt, als ich für Marika wieder interessant wurde. Das lief aber nur ein paar Wochen. Als ich nach Tasmanien ging, war die Affäre vorbei.«
    »Warum haben Sie Europa verlassen?«
    Er wandte sich Norma zu. »Ich könnte behaupten: aus Abenteuerlust. Aber das war nicht der Grund. Ich suchte einfach nur einen Platz auf der Welt, der so weit wie möglich von meiner Heimat entfernt war.«
    »Um zu vergessen, was in der DDR geschehen war?«
    Ein angedeutetes Lächeln. »Das kann man aus dem Gedächtnis nicht löschen wie ein misslungenes Bild von der Festplatte. Das sitzt zu tief.«
    »Trotzdem sind Sie vor einigen Jahren nach Deutschland zurückgekehrt.«
    »Ich habe es für Lenny getan. Und weil es für mich keinen Unterschied macht, wo ich lebe. Man kann nicht vor sich selbst davonlaufen.«
    »Wären Sie mit einem Vaterschaftstest einverstanden?«
    »Halten Sie mich für einen Lügner?«, erwiderte er aufgebracht.
    »Tun Sie es für Inga. Bitte, sie hat sich so in diese Idee verrannt. Klarheit würde ihr sehr helfen.«
    Ihr Lächeln besänftigte seinen Unmut. »Ich denke darüber nach. Rufen Sie mich in den nächsten Tagen an.«
    Er sei noch eine Weile in Wiesbaden, um seinen Film vorzubereiten, sagte er und gab ihr eine Karte mit der Mobilnummer.
    Norma nahm die Jacke vom Haken. Auf den Fliesen darunter hatte sich eine Pfütze gebildet. »Fällt Ihnen ein anderer Kandidat ein?«
    Er lächelte überraschend unbeschwert. »Ein Kandidat für den Vaterschaftstest? Möglich, aber ich kann Ihnen niemanden nennen. Mir ist es bis heute ein Rätsel, wie sie Bernhard ihre Abenteuer verheimlichen konnte.«
    »Was macht Sie so sicher, dass er es damals nicht wusste?«
    »Weil er mir sonst das Leben zur Hölle gemacht hätte.«
    »Inzwischen weiß er Bescheid.«
    »Tatsächlich? Von mir hat er es jedenfalls nicht erfahren. Mal sehen, wie er heute damit umgeht.«
    Lambert verließ den Turm vor Norma. Sie zahlte am Tresen und legte beim Hinausgehen die Jacke über den Arm. Draußen schien die Sonne von einem schwarzblauen Himmel und brachte die schlanken Säulen des Pavillons zum Strahlen. Mit der Sonne waren plötzlich die Menschen da. Zwei Kinder rannten über die Ränge der kleinen Freilichtbühne um die Wette. Das Mädchen gewann, und der Junge, chancenlos gegen die ältere und langbeinige Konkurrentin, brach in zornige Tränen aus, um sich gleich darauf von dem Mädchen trösten zu lassen. Norma hielt vergeblich nach Lutz Ausschau, um ihn, falls es der Zufall so wollte, auf seiner liebsten Laufstrecke anzutreffen. Sie nahm sich vor, ihn am Abend anzurufen. Er hatte die ersten Wanderrouten geschickt. Zuvor musste sie sich um Inga kümmern. Deren Enttäuschung wäre nicht so leicht aus der Welt zu schaffen wie der Kummer des kleinen Wettläufers.
    Nachdenklich kehrte sie zum Wagen zurück. Durch das junge Grün der Buchen blinkten die vergoldeten Zwiebeltürme der russischen Kirche. Norma blieb stehen. Was hatte Lambert eben gesagt? Die Familie sei Bernhard Inkens höchstes Glück gewesen. Auch Ruth hatte versichert, wie sehr Bernhard die kleine Inga geliebt habe. Bis die väterliche Zuneigung mit einem Mal versiegte. Weil er in diesem Augenblick erfahren hatte, dass sie nicht seine Tochter war? Auf welche Weise? Von Marika selbst? Ihre letzten Worte vielleicht?
    Der Wind frischte auf. Norma begann zu frösteln. Sie warf sich die Jacke über die Schultern und kehrte zum Wagen zurück.

9
    Donnerstag, der 17. April
     
    So launisch sich das Wetter in den vergangenen Tagen gezeigt hatte, am Donnerstagnachmittag schien es eisern entschlossen, den Sommer vorwegzunehmen.

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