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Rheingrund

Rheingrund

Titel: Rheingrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Kronenberg
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Was hatten wir nicht alles vor! Hollywood wartete auf uns! Dumm nur, dass zwischen uns und Amerika eine Mauer stand.« Mit der Brille in der Hand beobachtete er den Regen. »Nach der Wende gab Bernhard mir einen Job in der Agentur. Dort lernte ich Marika kennen. Später zog es mich weiter in die Welt hinaus. Wir haben uns seither nicht wiedergesehen.«
    »Gab es Streit mit Bernhard?«
    Er wandte den Kopf. Wache graublaue Augen. Ingas Augen?
    Als störe ihn der Blick, setzte er die Brille wieder auf. »Aber nein! Ich wollte mich in den nächsten Tagen bei ihm melden. Und nun schickt er mir eine Privatdetektivin?«
    »Ein Missverständnis, Herr Lambert. Ihr Jugendfreund ist nicht mein Auftraggeber.«
    »Wer dann?«
    »Ruth Diephoff. Marikas Mutter.«
    Sein Blick wurde misstrauisch. »Aus welchem Grund?«
    »Marika ist verschollen. Seit 15 Jahren fehlt jede Spur von ihr.«
    »Ach, und Sie glauben, ich wüsste darüber Bescheid? Ich höre davon zum ersten Mal. Wann war das genau?«
    »Sechs Wochen, nachdem Sie Deutschland verließen. Ist Marika Ihnen nach Tasmanien gefolgt? Oder später nach Australien?«
    Er zeigte sich verblüfft. »Wie kommen Sie darauf?«
    »Wäre es möglich?«
    Er lächelte versonnen. »Bei Marika war alles möglich. Sie war auf ihre Art unberechenbar. Sie kennen bestimmt den Spruch: Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt.«
    »Marika galt als depressiv. Sie hatte einen Selbstmordversuch hinter sich. Wussten Sie davon?«
    Sie legte das Foto, das sie aus Ruths Ordner herausgenommen hatte, auf den Tisch und schob es zu Lambert hinüber.
    Er betrachtete das Bild, ohne es in die Hand zu nehmen. »Marika hat mir davon erzählt. Es war, bevor ich in den Westen kam. Sie war noch sehr jung.«
    »Wissen Sie, warum Marika sich das Leben nehmen wollte?«
    Er schwieg einen Augenblick, als überlegte er, wie viel er preisgeben dürfe. »Der Vater war sehr streng, und sie fühlte sich eingeengt. Im Nachhinein war es wohl der eher kindliche Wunsch, ihrem Vater einen Schrecken einzujagen. Ihn zu bestrafen. Sie hat es nicht wirklich ernst gemeint, aber die Strömung im Rhein gefährlich unterschätzt. Wenn Bernhard nicht zufällig vorbeigekommen wäre …«
    »Ihr Mann hat sie gerettet?«
    »Ja, Bernhard hat sie aus dem Wasser herausgeholt. Allerdings waren sie damals noch nicht verheiratet.« Der Kaffee wurde gebracht. Lambert nahm einen Schluck, bevor er sagte: »Marika war anders als alle Frauen, die ich damals kannte. Aber da spricht ein Blinder von den Farben. Wen kannte ich schon.«
    »Waren Sie so schüchtern als junger Mann?«, fragte Norma mit einem Lächeln.
    Lambert blieb ernst. »Nennen wir es einen Mangel an Gelegenheit. Ich wurde wegen versuchter Republikflucht verurteilt und eingesperrt. Vier Jahre lang. Ohne die Wende wären es sechs Jahre mehr geworden.«
    Die Lücke im Lebenslauf! Norma ließ eine Prise Zucker in den Milchkaffee rieseln.
    Lambert hob resignierend die Schultern. »DDR-Schicksal. Ich bin nur einer von vielen. Wen kümmert das heute? Fragen Sie meinen Stiefsohn Lenny! Er ist 21 und kann sich kaum vorstellen, dass es jemals eine innerdeutsche Grenze gegeben hat. Selbstschussanlagen und das MfS hält er für Science-Fiction.«
    Er nahm die Tasse mit der linken Hand auf und nippte daran. Norma versuchte sich vorzustellen, wie das sein mochte, in der DDR eingesperrt und Jahre später in eine westliche Welt entlassen zu werden. Wie viel Mut hatte es erfordert, die Flucht zu versuchen? Und wie viel Kraft, sich dem Scheitern zu stellen? Sie schaute wie Lambert zum Fenster hinaus. Der Regen ließ nach. Zwei Spaziergänger kamen von der Bergstation der Nerobergbahn herüber und klappten nach einem Blick in den Himmel die Schirme zusammen.
    Lambert setzte die Tasse ab. »Hat Marika das Kind mitgenommen?«
    »Nein, Inga blieb bei Bernhard, oder besser gesagt, bei Ruth Diephoff. Marikas Tochter ist heute eine junge Frau. Ich bin auch in ihrem Namen hier.«
    »Weil Sie die Mutter finden sollen.«
    »Nicht nur. Ich suche auch nach Ingas Vater.«
    Lambert starrte sie über die Brille hinweg an. »Sie glauben doch nicht …« Er lachte bemüht. »Wollen Sie andeuten, ich könnte der Vater sein?«
    »Könnten Sie?«
    Er winkte ab. »Ich mag eine künstlerische Begabung haben und bin Linkshänder. Trotzdem kann ich rechnen. Das Kind ist nicht von mir.«
    »Aber es hätte die theoretische Möglichkeit gegeben?«
    »Wohl eher die praktische. Ja, durchaus. Mehrmals sogar. Es gab zwei oder drei Phasen, in

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