Rhosmari - Retterin der Feen
aussuchst und ihm seine schöpferische Kraft mit einem Kuss raubst?«
»Nicht immer«, erwiderte Veronica. »Aber das tut nichts zur Sache. Du solltest wissen, Martin, dass ich dich sehr genau beobachte. Und beim ersten Anzeichen von Verrat …«
»Verrat!« Martin lachte. »Warum sollte ich die Kaiserin verraten? Glaubst du, die Rebellen sind mir besser gesinnt als du? Wenn die Kaiserin mich jetzt freigeben würde, würde ich mich ganz anderen Leuten anschließen, die für niemanden eine Bedrohung darstellen.«
»Du meinst dieses unsägliche kleine Theater in Cardiff?« Veronica klang belustigt. »Wie putzig. Aber ich an deiner Stelle würde mir da nicht zu große Hoffnungen machen. Am Ende stellst du fest, das sich ein Besuch gar nicht mehr lohnt.«
»Was soll das jetzt wieder heißen?« Martins Gelassenheit war verflogen und seine Worte klangen messerscharf.
»Nichts«, antwortete Veronica rasch und Rhosmari spürte, dass sie bereits bereute, so viel gesagt zu haben. »Nur dass ich finde, du musst wissen, auf welcher Seite du stehst, nämlich auf unserer. Und wenn wir je Grund zu der Annahme haben, dass du das vergessen hast, dann werden wir dich daran erinnern.«
»Ach so«, sagte Martin, »darum geht es. Du brauchst wegen mir nichts zu fürchten. Ich kenne meine Pflichten – und meine Grenzen.« Er ging um das Feuer. Rhosmari hörte seine Schritte näher kommen und spürte seinen Atem in den Haaren, als er sich über sie beugte. »Ich weiß, dass du wach bist«, sagte er leise. »Steh auf.«
Rhosmari stand auf und verdrängte den Schauer, der sie bei der Berührung seiner Hand überlief. »Wohin gehen wir?«, fragte sie. Martin führte sie zur Mitte der Lichtung.
»Nach oben«, sagte er. »Es ist die beste Art zu reisen.« Und damit verwandelte er sich in einen Vogel und flog auf, ohne sich darum zu kümmern, ob Rhosmari ihm folgte. Kaum war er auf der Höhe der Wipfel angelangt, zerrte etwas schmerzhaft an Rhosmaris Brust, als hätte sich ein nur aus Nerven und Fleisch bestehendes Seil zwischen ihnen gespannt. Mit einem Aufschrei schrumpfte Rhosmari hastig auf die Größe einer Eichenfee und folgte ihm.
Martin flog über den Wald und die Felder und Häuser dahinter. Zwischendurch umkreiste er immer wieder Rhosmari, als wollte er sie verspotten, dann flog er wieder durch die Nacht voraus. Rhosmari brauchte ihre ganze Kraft, um mit ihm mitzuhalten. Als sie die nahe Stadt erreichten, brannten ihre Flügelmuskeln. Nebeneinander landeten sie auf der Einfahrt eines stattlichen, aus Ziegeln erbauten Hauses mit einer weißen Säulenfassade. Martin nahm die Größe eines Menschen an und ging zur Tür, Rhosmari tat es ihm nach.
Eine Frau mittleren Alters, die genauso müde zu sein schien wie Rhosmari, öffnete ihnen und brachte sie zu einem Zimmer im ersten Stock, das mit einem prächtigen gold-schwarzen Brokatstoff ausstaffiert war. Rhosmari war so entkräftet, dass sie nicht mehr darüber nachdenken konnte, wem das Haus gehörte oder wie die Kaiserin es sich unter den Nagel gerissen hatte. Sie sank auf das Bett, legte den Kopf auf das Kissen und fiel in einen erschöpften Schlaf.
Als sie aufwachte, war es Morgen. Sie fühlte sich körperlich ausgeruht, aber benommen, als sei sie in einem Albtraum gefangen. Sogar das Sonnenlicht, das durch die Jalousien fiel, schien eine giftige Färbung zu haben und die Luft erschien ihr unerträglich stickig. Sie drehte sich auf den Rücken und sah einen kleinen schwarz-weißen Vogel auf dem Bettpfosten sitzen und sie beobachten.
Sie setzte sich auf und zog ängstlich die Knie an die Brust. Martin ließ sich vom Bettpfosten fallen und nahm wieder Feengestalt an. »Die Kaiserin will, dass wir mit ihr frühstücken«, sagte er. »Zieh dir was an.«
Er war wütend, ohne dass sie gewusst hätte, warum. Schließlich stand er wieder in der Gunst der Kaiserin und die Kaiserin hatte ihm die Herrschaft über eine Insel versprochen. Was wollte er mehr?
Das Frühstück wurde von derselben Frau aufgetragen, die ihnen am Abend zuvor aufgemacht hatte. Ein bärtiger Herr, den Rhosmari für ihren Mann hielt, half ihr dabei. Sie aß so gut, wie sie seit Waverley Hall nicht mehr gegessen hatte: ein wunderbar lockeres Rührei, dazu hauchdünne Scheiben von geräuchertem Lachs und buttrige, knusprige Croissants. Der Duft reichte schon, dass ihr der Magen zu knurren begann.
Die beiden Menschen bedienten die Feen, füllten ihre Gläser auf und brachten für jeden Gang neue Teller. Doch die
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