Richard Castle
Einsatzkräfte in der Lage sein würden, sie zu verfolgen. Vielleicht würde die Verstärkung rechtzeitig eintreffen, um dem Schützen am Ende der High Line den Weg abzuschneiden, wenn er gezwungen war, die Treppe hinunterzulaufen.
Doch er nahm die Treppe nicht.
Als Nikki um eine Kurve bog, erhaschte sie einen Blick auf seine Umrisse. Er kletterte über den Maschendrahtzaun der Baustelle für die Erweiterung des Parks. Der Verdächtige hatte sie ebenfalls gesehen. Er sprang auf den Boden und brachte sich für einen Schuss in Position. Doch das Gewehr schussbereit zu machen, kostete ihn Zeit. Sie blieb stehen und stützte sich an einem Laternenpfahl ab, um zu zielen.
Er rollte sich hinter einen Kieshaufen und verschwand. Sekunden später entdeckte sie ihn wieder. Er hatte sich das Gewehr über den Rücken geschwungen und stürmte durch eine Öffnung in einer Plane, die zum Schutz vor Bauschutt von einem Kran hing.
Ihm durch diese Plane zu folgen, würde sie zu verletzlich machen, denn wenn er auf der anderen Seite auf sie wartete, würde sie ein großes Ziel abgeben. Also kletterte Heat über den Zaun und entschied sich dann dafür, ein paar Sekunden zu verlieren, um sich einen Weg über die Baustelle zu suchen, anstatt sich mitten durch die Plane zu rollen.
Sie kroch an einer Ecke hindurch und hielt inne. Wo war er?
Dann hörte Nikki Schritte, die über Schlackekies davonliefen.
Selbst bei Tageslicht wäre die Baustelle für die Erweiterung der High Line eine Herausforderung gewesen – ein Hindernisparcours aus unebenem Dreck, Haufen aus Bewehrungsstahl und Stapeln aus alten Holzschwellen, die aus dem Boden gerissen und zur Seite geworfen worden waren, damit sie später entsorgt werden konnten. Doch im Dunkeln war es hier regelrecht lebensgefährlich. Das einzige Licht in diesem Bereich stammte von der Straßenlampe unter ihr. Alles auf dem Weg, über den sie lief, wurde zu schattenhaften Gestalten, Dunkelheit und Umrissen – einschließlich des Verdächtigen.
Sobald sich ihre Augen ein wenig an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, beschleunigte Nikki, bezahlte aber sofort den Preis dafür. Sie übersah ein riesiges Schlagloch im Beton und trat genau hinein. Lediglich ein kleines Stahlgitter auf einer Seite des Lochs verhinderte, dass Heat direkt auf die Straße hinunterstürzte.
Nikki hasste es, ihre Geschwindigkeit drosseln zu müssen, lief aber dennoch etwas vorsichtiger und verlangsamte den Sprint zu einem Joggen. Sie wich losen Steinen und scharfen Metallspitzen aus und näherte sich so schließlich dem Ende des neuen Bereichs an der Dreißigsten Straße, wo der Weg endete. Heat bewegte sich nun in Schrittgeschwindigkeit fort. In diesem Moment sah sie den roten Punkt, der über die Absperrung neben ihr huschte und dann an ihrem Hosenbein hinaufkroch.
Sie sprang hinter eine große Plastikwanne mit der Aufschrift „Saubere Erde“ und wartete auf den Schuss. Doch er kam nicht.
Heat rollte sich über den Dreck. Auf der anderen Seite des Behälters kam sie schussbereit auf die Beine und entdeckte den Scharfschützen.
Für einen gezielten Schuss war er zu weit entfernt. Außerdem zielte er nicht mehr auf sie. Er schwang sich das Gewehr wieder auf den Rücken, sprang über das verschnörkelte Ziergeländer und balancierte mit den Absätzen seiner Schuhe auf der Kante.
Sie stürmte auf ihn zu. „NYPD, keine Bewegung!“
Er drehte sich um und starrte sie direkt an. Dann sah er nach unten – und sprang.
Nikki erreichte die Stelle, von der er gesprungen war, und schaute verblüfft nach unten. Direkt unter ihr war die New Yorker Trapezschule, die sich unter einer riesigen, aufblasbaren weißen Kuppel befand. Ihr Verdächtiger war weich darauf gelandet, als wäre es eine Hüpfburg für Kinder.
Und dann war er geflohen.
Heat schwang ein Bein über das Geländer, um ihm zu folgen, doch dann sah sie, wie er auf der anderen Straßenseite in ein Taxi stieg. Sie versuchte, die Wagennummer zu erkennen, aber es war zu weit weg und raste zu schnell davon.
An der Stelle, von der aus der Scharfschütze das Café Gretchen überwacht hatte, kniete sich der technische Mitarbeiter der Beweissicherung hin, um Heat die zusammengedrückte Erde und das zertrampelte Gras zu zeigen, das die Stelle markierte, von der aus er auf sie geschossen hatte. „Machen Sie von diesen Fußspuren die besten Abdrücke, die Sie hinbekommen“, sagte sie mit Gedanken an den Arbeitsstiefel der Person, die Nicole Bernardins Wohnung
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