Richard Castle
seines Jacketts befestigt war, doch anstelle eines Hemds trug er darunter ein altes fleckiges T-Shirt der Jets mit einem fransigen Kragen, als ob er direkt von zu Hause dorthin geeilt und ihm sein Thanksgiving-Abend von einem Notruf verdorben worden wäre, der im 13. Revier eingegangen war. Ein Notruf aus einer Wohnung in Gramercy Park. Die Einheiten waren unterwegs. Vermutlich ein Mord. Verdächtiger oder Verdächtige vor Entdeckung geflohen.
Nikki war zwei Blocks entfernt gewesen, als es passierte, im Gang mit den Gewürzregalen im Morton-Williams-Supermarkt. Rückblickend war es ihr immer so trivial vorgekommen, so banal, mit dem Finger über die alphabetisch angeordnete Reihe der Gläser zu fahren und ihr größtes Problem darin zu sehen, Zimtstangen zu finden – Stangen, keinen fertig gemahlenen –, während ihre Mutter ihre letzten Atemzüge tat. Als sie sie endlich fand, war sie so froh, dass sie ihre Mutter anrief, um ihr von ihrem Erfolg zu berichten und zu fragen, ob sie sonst noch etwas brauchte. Nach dem sechsten Läuten ging der Anrufbeantworter dran. „Hallo, hier ist Cynthia Heat. Ich kann gerade nicht ans …“, daraufhin ertönte ein jaulendes Feedbackgeräusch, und ihre Mutter nahm den Hörer ab. Sie war gerade dabei, den Kuchen vorzubereiten, den sie backen wollten, und musste sich die Butter von den Händen wischen, bevor sie ans Telefon gehen konnte. Und wie immer wusste sie nicht, wie man den Anrufbeantworter abschaltete, ohne den Anruf zu unterbrechen, also ließ sie ihn laufen, sodass er alles aufnahm, während Nikki zuhörte.
„Ich könnte vielleicht noch Kondensmilch brauchen. Ich habe eine offene Dose im Kühlschrank, warte, ich sehe mal eben nach, wie viel noch drin ist.“ Dann ertönte das Geräusch brechenden Glases, gefolgt vom Schrei ihrer Mutter. Nikki rief laut genug ins Telefon, um die Blicke der anderen Kunden im Supermarkt auf sich zu ziehen. Doch ihre Mutter antwortete nicht, sondern schrie nur erneut auf, und das Telefon fiel scheppernd zu Boden. Nikki stürmte bereits zum Ausgang des Supermarkts, riss die Eingangstür, die sich eigentlich nur in die entgegengesetzte Richtung öffnete, mit aller Kraft auf und wich auf der Park Avenue Süd den Autos aus. Sie rief ihre Mutter durchs Telefon und flehte sie an, etwas zu sagen. Im Hintergrund hörte sie die gedämpfte Stimme eines Mannes und ein kurzes Kratzgeräusch. Dann wimmerte ihre Mutter, und ihr Körper prallte hart neben dem Telefon auf den Boden auf. Unmittelbar darauf erklang das Scheppern eines Messers, das ebenfalls zu Boden fiel. Dann vernahm Nikki, wie die Kühlschranktür geöffnet wurde. Die Weinflaschen, die für ihr Thanksgiving-Festessen im Fach in der Tür standen, klirrten. Als Nächstes hörte sie das Knacken und Zischen einer Getränkedose, die geöffnet wurde. Eine Pause entstand, dann gingen Schritte davon und Stille folgte. Sie hatte immer noch einen Block vor sich, als sie das leise Stöhnen ihrer Mutter und ihr letztes Wort hörte. „Nikki …“
„Danke, dass Sie so kurzfristig Zeit hatten“, sagte Rook.
„Machen Sie Witze? Ich werde tun, was ich kann.“ Er sah wieder zu Nikki. „Ich muss allerdings gestehen, dass das ziemlich heftig für mich ist.“ Er nahm einen weiteren Schluck von seinem Cocktail und beobachtete sie über den Rand des Glases. Nikki fragte sich, ob Carter Damon Versagen schmeckte.
„Für mich ebenfalls“, sagte sie.
Damon stellte sein Glas ab. „Klar, ich wette, für Sie ist es noch zehnmal schlimmer. Aber da Sie jetzt selbst Polizistin sind, müssen Sie wissen, wie so etwas an einem nagt. Die Fälle, die man nie aufgeklärt hat. Sie halten einen nachts wach.“
Nikki schenkte ihm das beste Lächeln, das sie aufbringen konnte, und sagte: „Ja, das tun sie.“ Mit ihrer neutralen Erwiderung erkannte sie höflich den Schmerz des anderen Detectives bezüglich der Tatsache an, dass der Gerechtigkeit nicht genüge getan wurde, ohne ihn so einfach dafür vom Haken zu lassen, dass er seinen Job nicht richtig gemacht hatte.
Ihre Erwiderung zeigte Wirkung. Sein Gesicht wurde aschfahl, und er wandte seine Aufmerksamkeit Rook zu. „Geht es bei diesem Treffen um einen Artikel? Werden Sie eine Story über diesen Fall schreiben? Ich glaube nämlich, dass in dem, den Sie vor ein paar Monaten veröffentlicht haben, schon alles darüber gesagt wurde.“ Da war es wieder. Wie sehr Nikki diesen Artikel hasste. So gut er sie auch dastehen ließ und sie als eine der besten
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