Richard Castle
dafür gesorgt, dass Jeff Heat gealtert war. Die Trauer hatte sein freundliches, fröhliches Gesicht in eine zurückhaltende Kopie verwandelt, eine, in der kein Vertrauen mehr lag und die stets nach unten geneigt war und auf den nächsten Schlag wartete. Als er seine Hand ausstreckte, um Rooks zu schütteln, gab er sich große Mühe zu lächeln. Es war echt, aber es gelang ihm nicht, irgendetwas in seinem Inneren zu finden, das als einfache Freude durchgegangen wäre. Genau wie bei der Umarmung, mit der er seine Tochter bedachte, ging es ihm nur darum, es so angemessen wie möglich zu machen.
Seine Wohnung wirkte äußerst beige. Nicht nur sauber, sondern ordentlich und männlich. Sämtliche Möbel stammten aus dem gleichen Jahr, circa von 2000, einschließlich des gestrandeten Walrosses von einem Fernsehbildschirm, der die voraussehbare Schwäche des neuen Junggesellen verkörperte. Er fragte, ob sie etwas trinken wollten, und Rook fiel auf, dass Nikki fast genauso sehr ein Gast in diesem Zuhause zu sein schien wie er. Sie lehnten ab, und ihr Vater nahm auf dem ledernen Lehnstuhl Platz, der so etwas wie sein Kommandozentrum darzustellen schien. Links und rechts davon standen Beistelltische mit seinem Telefon, Fernbedienungen, einer Taschenlampe, einem tragbaren Scanner, Zeitungen und einem kleinen Taschenbuchstapel mit Werken von Thomas L. Friedman und Wayne Dyer.
„Bist du zum Mittagessen nach Hause gekommen, Dad?“
„Ich war heute noch gar nicht im Büro. Du weißt ja, was man so über den Immobilienmarkt hört, oder? Es ist noch schlimmer. Gestern musste ich einen meiner Vertreter entlassen.“ Er griff nach unten, um seine Socken hochzuziehen. Einer von ihnen war schwarz, der andere marineblau.
Falls ihr Vater sich in irgendeiner Weise gekränkt fühlte, weil er die Neuigkeiten über den Mordfall an seiner Exfrau aus der Boulevardzeitung neben seinem Ellbogen erfahren hatte, ließ er es sich nicht anmerken. Stattdessen lauschte er schweigend, während Nikki ihm die Einzelheiten des Falls schilderte. Er reagierte lediglich, als sie ihr Mittagessen mit dem ehemaligen leitenden Ermittler, Carter Damon, zusammenfasste. „Arschloch“, kommentierte er. „Und nutzlos. Dieser Witzbold könnte an einem Strand keinen Sand finden.“
„Verrat mir etwas, Dad. Jeder behauptet, Mom und diese Nicole Bernardin seien so gute Freundinnen gewesen. Aber ich habe vorher noch nie von ihr gehört.“ Sein Gesichtsausdruck blieb neutral, also sagte sie: „Irgendwie seltsam, findest du nicht?“
„Eigentlich nicht. Ich mochte sie nie, und deine Mutter wusste das. Schlechter Einfluss, belassen wir es dabei. Nachdem wir etwa ein Jahr vor deiner Geburt wieder in die Staaten gezogen waren, war Nicole Bernardin kein Teil unseres Lebens mehr. Und das war auch gut so.“
Nikki erzählte ihm von dem Besuch beim New England Conservatory und beschrieb ihm das Video vom Auftritt ihrer Mutter. „Ich wusste, dass Mom gut spielen konnte, aber verdammt, Dad, ich habe sie noch nie so gesehen.“
„Eine verschwendete Gabe. Deswegen habe ich ihr während unserer Zeit in Europa die ganze Zeit über damit in den Ohren gelegen, dass sie ihr Talent vergeudete.“
„Sie beide hatten in Europa also eine ganze Weile lang miteinander zu tun?“, fragte Rook. „Wann haben Sie und Cynthia sich kennengelernt?“
„1974. Beim Filmfestival in Cannes.“
„Waren Sie in der Filmindustrie? Das hat Nikki nie erwähnt.“
„War ich nicht. Nach der Handelsschule wurde ich von einer großen Investmentgruppe angeheuert, um mich um ihre Geschäfte in Europa zu kümmern. Meine Aufgabe bestand darin, kleine Hotels zu finden, die wir aufkaufen und zu Elite-Boutique-Hotels umbauen konnten, so ähnlich wie Relais & Châteaux. Ich sage Ihnen, das war ein Traumjob. Ich war in den Zwanzigern, hatte nur mich selbst im Kopf und tingelte durch Italien, Frankreich, die Schweiz und Westdeutschland – das hieß damals noch so –, alles auf Spesen. Sind Sie sicher, dass Sie keine Limo wollen? Vielleicht ein Bier?“, fragte er hoffnungsvoll.
„Nein danke“, sagte Rook. Er bemerkte den Kondenswasserring auf dem Untersetzer neben Jeffs Stuhl und fand es traurig, wie sehr sich der Mann danach sehnte, ein neues Glas daraufzustellen.
„Jedenfalls steckte einer unserer Investoren sein Geld in Filme, und er nahm mich zu dieser unglaublichen Cocktailparty mit, die der berühmte Regisseur Fellini gab. Da stand ich dann neben großen Filmstars wie Robert Redford und
Weitere Kostenlose Bücher