Richard Dübell
Pauschalvergebung nicht das war, was Flora hören wollte.
»Ich wusste nicht, womit ich deinen Zorn verdient hatte«, sagte er.
Flora hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. »Dein … Eifer … hat mich plötzlich an Harald erinnert, so wie er damals immer war. Total verbissen, wenn er sich in irgendwas hineingesteigert hatte, und ständig am Nörgeln über die Kollegen – so, wie du über Harald genörgelt hast …«
»Ich hab nicht genörgelt, ich hab ihn in die Pfanne gehauen.«
Flora verdrehte die Augen.
»Na«, sagte Peter sanft, »so betrachtet hab ich deinen Zorn ja doch verdient.«
»Nein, hast du nicht. Aber bevor du zu grinsen anfängst: Du ähnelst ihm schon in gewisser Weise, das lässt sich nicht leugnen.«
»Das ist jetzt etwas, für das du noch extra um Verzeihung bitten musst.«
Flora lachte nicht, und Peter erkannte, dass es ihr durchaus ernst war und dass die Ähnlichkeit mit Harald, die er selbst schon zu seiner Erbitterung erkannt hatte, ihr zu denken gab. »Bevor ich mit ihm zusammenlebte, war er immer mein Traummann«, sagte sie leise. »Wir haben geheiratet, als ich mit Julia schwanger war. Der Alltag hat die Träume, die uns verbanden, aufgefressen und nur noch die Differenzen übriggelassen, die uns trennten.«
Peter hatte das Gefühl, dass Flora ihm den Schlüssel zu ihrem Verhalten ihm gegenüber in die Hand gab. Er sagte leise: »Der Alltag fällt nicht nur von außen über einen her. Man erschafft ihn auch in seinem Herzen.«
»Was willst du damit sagen? Dass man selber schuld ist, wenn man dem Alltag zu viel Raum gibt?«
Peter nickte. »Er ist wie eine Flüssigkeit – er füllt jeden freien Raum, am liebsten den, der entsteht, wenn man vergisst, seine Träume am Leben zu erhalten.«
Flora musterte ihn, und er wurde sich bewusst, welches Bild er abgeben musste: Ein mittelalterliches Kettenhemd schief auf seinem Leib, das Hemd darunter verrutscht und gebauscht, unten schauten bloße Füße aus den Röhren von Connors zerknitterten Beinlingen heraus, oben stand ihm das Haar hoffnungslos zu Berge, und rasiert war er immer noch nicht – ein fleischgewordener Frauenmagnet …
»Was ist mit deinen Träumen?«, fragte sie.
Auf die Gefahr hin, dass sie ihm eine klebte oder aus der Wohnung rannte, beugte er sich nach vorn und küsste sie auf den Mund. Einen köstlichen Augenblick lang spürte er, wie sich ihre Lippen öffneten, dann zog sie sich zurück. Sie tat es ohne Hast, und sie schaute ihm dabei in die Augen.
»Bitte nicht«, flüsterte sie.
»Warum nicht?«
»Weil keiner von uns weiß, wo es aufhören wird.«
»Auf jeden Fall nicht im Alltag.«
»Das sagt sich so leicht …«
Peter wollte fragen, ob ihre Weigerung, seine Liebe anzunehmen, in Wahrheit damit zu tun hatte, dass sie ihre Träume zu schützen versuchte, weil der Alltag nicht einkehren konnte, wenn man die Träume nur träumte, statt sie zu realisieren – aber er schwieg.
»Du«, sagte er stattdessen, »bist in jedem Atemzug, den ich tue.«
Sie musterte ihn lange. »Dreh dich um«, sagte sie dann, als er schon beinahe gehofft hatte, sie würde noch einmal die kostbaren Worte wiederholen, die sie damals am Telefon zu ihm gesagt hatte: Ich lieb dich, weißt du das? »Du musst das Kettenhemd noch mal neu anziehen, sonst bist du der schlampigste Geist, der je rumgespukt hat.«
»Wie du meinst, Ma«, sagte er und versuchte, seiner Stimme nicht anmerken zu lassen, wie enttäuscht er aufs Neue war, dass sie das Gespräch wieder in sicheres Fahrwasser gebracht hatte. Er sah, wie sie lächelte, dann wandte er ihr den Rücken zu und ließ sich anständig anziehen.
»Connor lässt übrigens fragen, ob du uns alle mit dem Tank hinfahren kannst«, sagte Flora, als sie fertig waren. »Damit wir nicht mit einer ganzen Flotte Fahrzeuge dort aufkreuzen.«
59 .
Ab dem frühen Abend waren die Presseleute auf der Burg eingetroffen, und Robert staunte darüber, was für ein großes Chaos so verhältnismäßig wenige Menschen anrichten konnten. Die Pressefahrzeuge standen sich gegenseitig im Weg und blockierten die Autos der Angestellten der Burgverwaltung, Kameraequipment stapelte sich dort, wo andere entlanggehen wollten, Kabel schlängelten sich von Bildschirmen zu Kameras und von Mikrophonen zu Aufnahmegeräten, alle Teams nahmen mehr oder weniger dieselben Hintergrundbilder auf – und alle waren entspannt und begrüßten sich mit gegenseitigem Schulterklopfen und jeder Menge schrägem Humor. Auf Anhieb
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