Richard Dübell
Schwedenwiese hin ab. Ein paar Meter unter ihnen verlief der Spazierweg, der zur Schwedenschanze führte. Aber hier, im oberen Drittel des Hangs, schützten die Vegetation und die beginnende Dämmerung sie vor jeder möglichen Entdeckung. Der dichte Baum- und Buschbestand würde es auch erlauben, von der Burg aus ungesehen über die Mauer zu steigen; der wuchtige Kellerbau, der gleich unterhalb stand, würde zusätzlichen Sichtschutz aus Richtung der Burg gewähren.
»Wir trennen uns jetzt«, sagte Konstantin halblaut. »Du steigst dort oben über die Mauer, versteckst dich hinter dem Kellereigebäude, schaust, ob die Luft rein ist, dann kommst du raus und tust so, als ob du dazugehörst.«
»Und du?«, fragte Eric mit einem Anflug von Panik.
»Ich folge dir mit ein paar Minuten Abstand und wenn ich von dir keine Warnung gehört habe.«
Erics Brustkorb hob und senkte sich. Konstantin erwartete beinahe, dass die funktionsunfähige Kamera, die Eric trug, zwischen dessen verkrampften Händen zerquetscht würde. Er schlug ihm gegen den Oberarm. »Was soll die Nervosität?«, fragte er mit aufgesetzt guter Laune. »Diese eine Geschichte noch, dann hast du es hinter dir. Von mir hörst du dann nie wieder was.«
»Wenn Vater noch bei Verstand wäre, würde er dir sagen, dass er das nicht will, was du da tust. Dass er das nie gewollt hat.«
»Ganz bestimmt«, sagte Konstantin. »Hau jetzt ab. Und werd nicht gleich panisch, wenn ich nicht sofort nachkomme. Misch dich einfach unters Volk, ich finde dich dann schon.«
Eric packte Konstantin am Arm. Konstantin konnte das Zittern seines Bruders durch Sakko und Hemd fühlen. »Sie werden mich erwischen, Stani …«
»Halt die Klappe und denk dran, was ich dir gesagt habe, und kein Mensch wird merken, dass du da bist.«
Konstantin sah zu, wie Eric unbeholfen über die bröckelige Ziegelsteinmauer kletterte, und lauschte auf das Geräusch, das entstand, als Eric auf der anderen Seite der Mauer in das Gebüsch plumpste. Er schüttelte den Kopf. Dann sah er sich um, stellte fest, dass der Spazierweg unterhalb menschenleer war, sprang leichtfüßig hinunter und schlug die Richtung zum Parkplatz ein, der ein paar hundert Meter von der Burg entfernt war. Er lief, ohne zu rennen. Sein Timing war gut.
Hinter ihm, in der Burg, würde Eric warten, bis die Panik ihn übermannte, dann irgendeinen Blödsinn anstellen, entdeckt werden, in seiner Verzweiflung die Waffe zücken – und damit für die nötige Ablenkung sorgen.
»Showtime«, sagte Konstantin zu sich selbst. Er versuchte, die Gedanken an Eric zu verdrängen. Der entscheidende Teil seiner Mission hatte begonnen.
61 .
»Aus dramaturgischen Gründen ist das ungeheuer wichtig«, sagte Connor. Seine Stimme klang metallisch-dumpf, weil er sich den Helm schon aufgesetzt hatte. Peter warf ihm aus dem Augenwinkel einen Blick zu, während er den Volvo lenkte. Die ausdruckslose Visierplatte des Ritterhelms mit ihren beiden rechteckigen Augenschlitzen und den Atemlöchern schien ihn beinahe um Entschuldigung bittend zu mustern.
»Aus dramaturgischen Gründen ist es ungeheuer wichtig, dass ich auf keinen Fall gesehen werde, bevor es völlig dunkel ist und ihr die Führung durch den Burgstall beendet habt und die Kinder schon für das Erscheinen des Geistes angefixt sind …«, wiederholte Peter.
»So ist es«, erklärte Connor.
»… weshalb ich, wenn wir beim Burgstall angekommen sind, über eine Stunde lang nichts zu tun habe, außer mich irgendwo im Wald rumzudrücken, weil ich ja auch nicht im Auto bleiben kann, denn da kommt der Bus mit den Kindern an, und dann würden die mich sehen.«
»Man könnte es nicht besser auf den Punkt bringen«, erwiderte Connor. Peter stellte sich vor, dass sein Freund unter dem Helm fröhlich grinste.
Peter beschleunigte an der Ampel, die vor ihm gelb geworden war, und fuhr in die Kreuzung, die zum Kasernenberg hinaufführte, bevor die Ampel auf Rot umschalten konnte. Der mächtige Motor des Tanks brummte.
»Wir haben keine Eile«, sagte Connor.
»Ich schon gleich gar nicht«, sagte Peter.
»Erkenne ich da einen Anflug von Missmut?«, fragte Flora von einem der Rücksitze und lachte leise. Neben ihr saß Daniel Bernward, zur Abwechslung einmal schweigsam, weil er von plötzlichem Lampenfieber gepackt worden war. Der Mann, der in seinen aktiven Berufsjahren vor Politikern, Vorstandsvorsitzenden und ganzen Firmenbelegschaften frei gesprochen hatte, hatte Peter gestanden, dass ihn dieser
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