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Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Borchmeyer
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Goethes Weltdichtung ihr unvergleichliches Gepräge, schreibt er schon in seinem Aufsatz Über Schauspieler und Sänger (1872). Der »Wunderbau« […], den Goethe auf jenem sogenannten Knittelvers aufführte«, in dem sich seine Poesie mit der »rohen Kunst unseres alten Volksdichters Hans Sachs« begegne, scheine die »Grundlage vollendetster Popularität nie zu verlassen, während er sich auf ihr bis in die höchste Kunst der antiken Metrik schwingt« (GS IX, 214 f.). Hier knüpfen Wagners Meistersinger mit der Sachs-Gestalt unmittelbar an.
    In Deinhardsteins Drama wird Hans Sachs noch als radikaler Außenseiter dargestellt, der sich schließlich genötigt sieht, als »zweiter Coriolan« aus seiner philiströsen Vaterstadt zu emigrieren. Nur der Zufall, dass er auf der Flucht Kaiser Maximilian und seinem Gefolge begegnet, die auf dem Weg nach Nürnberg sind – nicht zuletzt, um dort Hans Sachs zu begegnen –, bewirkt, dass er in die Stadt zurückkehrt. Der Kaiser führt als Deus ex machina alles zum guten Ende. Sachs erhält seine Geliebte Kunigunde zur Frau, wird von dieser mit dem Dichterlorbeer gekrönt, und das Drama schließt mit dem »freudigen Jauchzen« der Bürger – freilich nicht für Sachs, sondern für den Kaiser: »Heil Kaiser Max! / Heil Habsburg! Heil für immer!« So lauten die letzten Verse des Dramas, die eine beliebte enkomiastische Schlussformel der österreichischen Dramatik verwenden, die selbst noch ein so bedeutendes Drama wie Grillparzers König Ottokar beschließt (»Heil! Heil! Hoch Österreich! Habsburg für immer!«).
    Deinhardsteins »dramatisches Gedicht« ist auch die Grundlage von Albert Lortzings »komischer Oper« Hans Sachs (1840/45). Erst Lortzing und sein Librettist Philipp Salomon Reger haben in ihrer Oper, der neben Deinhardsteins Drama wichtigsten Quelle der Meistersinger , den Sängerwettstreit, das Volksfest, den Diebstahl und die Verballhornung eines Liebesgedichts und überhaupt die komische Szenerie in die tragisch-ernste Vorlage von Deinhardstein eingeführt. Wagner hätte es freilich nicht nötig gehabt, diese seine Quelle zu verleugnen (wie er es getan hat), denn erst sein Libretto hat die neuen Einfälle der Lortzingschen Oper dramaturgisch und psychologisch zwingend verarbeitet, ihre Spannung und ihren Witz erst recht zur Geltung kommen lassen.
    Die bedeutsamste Brücke von Deinhardstein zu Wagner ist die Einführung des Volks – das bei Deinhardstein nur Sta ff age ist – als quasi handelnder Person in Lortzings Oper, mit ihr aber die Restituierung des romantischen Nürnberg-Mythos und des volkstümlichen Hans-Sachs-Bildes à la Goethe und Wackenroder, die Deinhardstein verdrängt hatte. Hans Sachs wird auch bei Lortzing noch von den etablierten Bürgern und Zunftgenossen gehasst, aber das Volk liebt ihn, steht bei dem Sängerwettstreit mit Eoban Hesse (einem Zerrbild des historischen humanistischen Poeten) zu Beginn des zweiten Akts auf seiner Seite – in Opposition gegen das eigennützige Urteil der Zunftbürger. Und wenn nach wie vor Kaiser Maximilian das glückliche Ende herbeiführt, so vollzieht er doch gleichsam den Willen des Volkes. Wie Sachs der Volkskünstler, so ist Maximilian I. der Volkskaiser. »Ist er nicht Vater seines Volks? Lebt Einer in dem Reich, der nicht den Kaiser liebt?«, fragt Hans Sachs im ersten Akt den »Unbekannten«, d. h. den inkognito in die Schusterstube eintretenden Kaiser.
    Obwohl auch in Richard Wagners politischem Denken die romantische Idee des Volkskönigtums eine bedeutende Rolle spielte, auch und gerade in der Zeit seiner revolutionären Aktivität und noch nach der Begegnung mit Ludwig II., hat er doch die Gestalt des Kaisers aus seinem Sachs-Drama eliminiert. Maximilian I. wird durch Hans Sachs selber ersetzt, der die Liebeshandlung und das Künstlerdrama, deren Träger er bei Deinhardstein und Lortzing war, an ein neues Paar, an Evchen und Walther von Stolzing abgibt – der Maximilian I. gewissermaßen in seiner Eigenschaft als »letzter Ritter« ablöst –, während Sachs selbst über alles Handlungsinteresse erhaben, um eine ganze Lebensstufe gealtert und gereift erscheint – ein im Geiste Schopenhauers geläuterter Geist, der den Willen zum Leben überwunden hat. Er ist eine Art ästhetischer Volkstribun, vom Volk geliebt, von den Zunftgenossen hochgeachtet, ein Bürger von patrizischem Gepräge, dem man das Schusterhandwerk nicht mehr recht abnehmen mag. »Nürnberg’s theurem Sachs«, nicht mehr der

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