Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
mitbrachte, im Hause Wagner das Puppentheater aufstellte und dekorierte – mit jenem Iftekhar-Orden, der Wagner zu seiner Belustigung vom Bei von Tunis verliehen worden war –, den Weihnachtsbaum schmückte, Äpfel und Nüsse vergoldete oder Ostereier versteckte (NW 36, 336, 362, 1154, 1176 u. ö.).
Wagner und seine Frau betrachten Nietzsche nicht nur als willkommenen Adepten, sondern nehmen lebhaft Anteil an seinen Arbeiten zur klassischen Philologie. Nietzsche schickt ihnen seine Antrittsvorlesung Homer und die klassische Philologie , seine Vorträge Das griechische Musikdrama – dessen Titel Wagner freilich kritisiert, da er den Ausdruck »Musikdrama« für eine Missbildung hält (NW 1158), weshalb Nietzsche diesen Terminus seither in diesem Zusammenhang nie mehr verwendet hat –, Sokrates und die Tragödie sowie alle anderen unverö ff entlichten Schriften im Vorfeld der Geburt der Tragödie nach Tribschen oder bringt sie persönlich dorthin mit, wo Wagner und Cosima sie eingehend studieren und kommentieren. Sie werden so die unmittelbarsten Zeugen und geistigen Gefährten der Genese von Nietzsches Erstpublikation.
1870 trägt Nietzsche sich mit dem Gedanken, seine Professorentätigkeit – die er doch gerade erst ein gutes Jahr ausgeübt hat – für einige Zeit auszusetzen, zugunsten einer mit Wagners Festspiel-Unternehmen verbundenen »neuen griechischen Akademie« (SBr III, 165). Der Gedanke, seine Professur aufzugeben und in Vorträgen vor den Wagner-Vereinen in ganz Deutschland für die Bayreuther Festspiele zu werben, verdichtet sich zwei Jahre später. Doch Richard und Cosima Wagner wollen davon nichts wissen. Sie suchen Nietzsche überhaupt, auch nach dem katastrophalen Misserfolg der Geburt der Tragödie in der Fachwelt, immer wieder auf den Boden der klassischen Philologie zurückzuholen und zu verhindern, dass er seine eigenen wissenschaftlichen Aufgaben hinter der ›Ö ff entlichkeitsarbeit‹ für Bayreuth zurückstellt: »die Philologie ist der feste Boden, den Sie immer wieder umfassen müssen, um Ihre Kraft zu erneuern, die in der Himmelluft der Musik und der Wassertiefe der Philosophie gar leicht sich verlieren könnte«, schreibt Cosima am 22. August 1872 an Nietzsche (NW 194).
Abb. 25 : Salvador Dalí: A Chemist Lifting with Extreme Precaution the Cuticle of a Grand Piano, 1936
Wagner hat 1870 die Freundschaft mit Nietzsche als Bündnis von Philologie und Musik, Wissenschaft und Kunst, Rationalität und Inspiration interpretiert, das zu wechselseitiger Vollendung, ja zum Gipfel der Kunst führen soll. In seinem Brief vom 7. Februar 1870 redet er gar von einer »Theilung der Arbeit« zwischen ihm als Musiker und Nietzsche als Philologen, die deshalb Erfolg verspreche, weil jeder von ihnen beiden die vorzügliche Anlage des anderen als »Halbtheil« auch in sich selber trage: »Wären Sie Musiker geworden, so würden Sie ungefähr das sein, was ich geworden wäre, wenn ich mich auf die Philologie obstinirt hätte. Nun liegt mir aber die Philologie – als bedeutungsvolle Anlage – immer in den Gliedern, ja sie dirigirt mich als ›Musiker‹. Nun bleiben Sie Philolog, um als solcher sich von der Musik dirigiren zu lassen. […] Nun zeigen Sie mir, zu was die Philologie da ist und helfen Sie mir, die große ›Renaissance‹ zustande bringen, in welcher Platon den Homer umarmt, und Homer, von Platons Ideen erfüllt, nun erst recht der allergrößte Homer wird.« (NW 58 f.)
Häu fi g machen sich Wagner und Cosima Sorgen über Nietzsches Gemütslage. Am 17. Februar 1870 verzeichnet Cosima in ihrem Tagebuch eine Bemerkung Wagners, »er besorge, daß die Philosophie Schopenhauer’s am Ende einen schlimmen Ein fl uß auf solche jungen Leute hat, weil sie den Pessimismus, welcher eine Form des Denkens, der Anschauung ist, auf das Leben wenden und sich daraus eine praktische Ho ff nungslosigkeit bilden« (NW 1156). Das Ergebnis dieses Gesprächs ist ein Brief Cosimas an Nietzsche vom 20. Februar, in dem sie vermeidet, Wagners eigene Worte wiederzugeben, o ff enbar, um Nietzsche nicht durch die Autorität des ›Meisters‹ zu bedrücken, sondern sie als ihre eigene Spekulation ausgibt. Der metaphysische Pessimismus Schopenhauers, so mahnt sie den jungen Freund, soll und darf nicht ins praktische Leben übersetzt werden, man müsse die Ho ff nung und das Vertrauen auf die Zukunft »sich immer heilig zu wahren« suchen (NW 60). Das ist gewiss Wagners eigene Formel gewesen, das utopische
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