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Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Borchmeyer
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die Bestimmung der Oper (1871).
    Abb. 26 : Richard Wagner in Tribschen, 1867

    Die Festschrift Beethoven aus Anlass des 100. Geburtstags des Komponisten stellt nicht nur den Gipfel der stattlichen Zahl von Beethoven-Artikeln aus Wagners Feder, sondern seinen wesentlichsten Beitrag zur Musikästhetik neben Oper und Drama dar, dessen Kardinalthesen die Festschrift in mancher Hinsicht indirekt zurücknimmt. Sie bildet jedenfalls das wichtigste Dokument der von Schopenhauer inspirierten späten Theorie Wagners von der Beziehung zwischen Musik und Dichtung. »Die Musik, welche nicht die in den Erscheinungen der Welt enthaltenen Ideen darstellt, dagegen selbst eine, und zwar eine umfassende Idee der Welt ist, schließt das Drama ganz von selbst in sich«, heißt es in Beethoven (GS IX, 105) . Sie ist gewissermaßen – im Sinne von Kants Transzendentalphilosophie (die Wagner durch Schopenhauer vermittelt worden ist) – die apriorische Bedingung der Möglichkeit des Dramas (GS IX, 106). Diese neue Metaphysik der Musik schließt wesentliche Positionen aus Oper und Drama philosophisch – wenn auch nicht empirisch-dramaturgisch – aus.
    Wagner geht in der Festschrift sogar so weit, dass er sich das Experiment seines Erzfeindes Hanslick in dessen Versuch Vom Musikalisch-Schönen zu eigen macht, ein und derselben Musik verschiedene Texte zu unterlegen. Das Experiment zeigt, dass die Musik als ›Vertonung‹ unterschiedlicher Texte »nichts von ihrem Charakter verliert«, wie Wagner sagt, was beweise, dass das »Verhältnis der Musik zur Dichtkunst« ein »durchaus illusorisches« sei (GS IX, 103). Damit scheint die Idee der notwendigen Motivation der Musik durch die Dichtung aufgegeben. In seinem Aufsatz Über die Benennung ›Musikdrama‹ (1872) wird Wagner – in Umkehrung des Verhältnisses zwischen Drama und Musik in Oper und Drama – von seiner neuen Ästhetik in den Spuren Schopenhauers her die eigenen Bühnenwerke als » ersichtlich gewordene Thaten der Musik « bezeichnen (GS IX, 306). Und programmatisch verkündet er nun, die Musik sei mit Mephistos Worten »der Theil, der Anfangs Alles war«. Sie müsse endlich »ihre alte Würde als Mutterschooß auch des Drama’s« wieder einnehmen. »Sie tönt, und was sie tönt, möget Ihr dort auf der Bühne erschauen; […] und deßhalb erö ff net sie Euren Blicken sich durch das scenische Gleichniß, wie die Mutter den Kindern die Mysterien der Religion durch die Erzählung der Legende vorführt.« (GS IX, 305)
    Die metaphysische Neubegründung der Beziehung zwischen Musik und Drama ändert jedoch nichts an der Überzeugung Wagners, dass die eine des anderen – wie das Allgemeine des Besonderen – bedarf, dass es einen »Grenz- oder Übergangspunkt« zwischen ihnen gibt. Dieser fi ndet sich in der für Wagner nach wie vor »vollendetsten Kunstform« des Dramas (GS IX, 108), das die Strukturgesetze der Beethovenschen Symphonie, die für Wagner schon ein latentes Drama ist, und des Shakespeareschen Dramas verbindet. Wagners komplizierte Theorie der A ffi nität, ja »Identität des Shakespeare’schen und des Beethoven’schen Drama’s« (GS IX, 111) rekurriert einmal mehr auf Schopenhauers Metaphysik der Musik, bestimmt jedoch in Widerspruch zu den eigenen Konsequenzen des Philosophen – der Wagner durch das Ehepaar Wille mitteilen ließ, er wolle von einer »Gütergemeinschaft« zwischen Musik und Drama nichts wissen – das letztere als »sichtbar gewordenes Gegenbild der Musik«, als analoges, »allegorisches« Traumbild und ›Übersetzung‹ der Musik ins Bildhafte. Das ›Sehen‹ der musikalischen Szene hat freilich einen wesentlich anderen Charakter als im Alltag oder im Schauspiel, denn »durch die Wirkung der Musik auf uns« werde »das Gesicht in der Weise depontenzirt […], daß wir mit o ff enen Augen nicht mehr intensiv sehen« (GS IX, 75), sondern in eine Art träumerischer Anschauung entrückt werden.
    Bedeutsam ist, dass Wagner die Wesensgesetzlichkeit der Musik nicht mehr – wie Hanslick, und zwar schon im Titel seines Traktats – durch die Kategorie des »Schönen«, sondern durch diejenige des »Erhabenen« im Sinne der Kant-Schillerschen Ästhetik zu erfassen sucht. Spezi fi sch ›schön‹ sind die bildenden Künste in ihrer »Überschaulichkeit«, Begrenzung der sinnlichen Erscheinung. Die Musik aber überschreitet die Grenzen der überschaulichen Erscheinung, kann also nur als ›erhabene‹ Kunst aufgefasst werden (GS IX, 77 f.). (An diese

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