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Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Borchmeyer
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Anwendung der Musik auf das Drama . Dieser Essay befasst sich mit der Motivbildung im musikalischen Drama, unter deutlicher Kritik an dem von Hans von Wolzogen eingeführten Begri ff des »Leitmotivs«, der nur die »dramatische Bedeutsamkeit und Wirksamkeit« der Motive beachte, anstatt »ihre Verwerthung für den musikalischen Satzbau« in den Mittelpunkt zu stellen (GS X, 185). So ist es zu jenen berüchtigten populären Leitmotivkatalogen und -namensgebungen gekommen, welche die Motive zu äußerlichen Etiketten isolierter dramatischer Erscheinungen degradieren, während Wagner durch sie die »Einheit« des musikalisch-dramatischen Kunstwerks zu verwirklichen strebt, die er der »Einheit des Symphoniesatzes« vergleicht (GS X, 184 f.). »Die ›Leitmotiv‹-Technik stellt die großartige Absicht dar, das thematische Material einer ganzen Oper und sogar einer ganzen Tetralogie zu vereinheitlichen. Eine so weitreichende Organisation verdient höchste Bewunderung«, hat Arnold Schönberg ganz im Sinne Wagners bemerkt, und er stellt die Zwölftontechnik in dieser Hinsicht als Fortsetzung des Wagnerschen Motivsystems dar: »Ich glaube, daß Richard Wagner, als er – zu dem gleichen Zweck wie ich meine Grundreihe – sein Leitmotiv einführte, gesagt haben mag: ›Es werde Einheit‹.« (Arnold Schönberg, Stil und Gedanke , Frankfurt a. M. 1946, 42 und 96)

Am Ziel – Festspiele in Bayreuth
    Im März 1870 wird Wagner durch Gespräche und einen Lexikonartikel auf das Markgräfliche Opernhaus in Bayreuth aufmerksam gemacht, das über eine zu dieser Zeit ungewöhnliche Bühnentiefe verfügt. Das ist die Geburtsstunde der Idee der Bayreuther Festspiele. Im April des nächsten Jahres besucht er mit Cosima während seiner großen Deutschlandreise die fränkische Residenzstadt. Da sich das Opernhaus als nicht geeignet für das Festspielprojekt erweist, entschließt Wagner sich zu einem Theaterneubau. Im Mai kündigt er die ersten Festspiele für 1873 an. Vor allem der Bayreuther Bürgermeister Theodor Muncker und der Bankier Friedrich Feustel unterstützen nachhaltig Wagners Pläne, so dass der Bayreuther Gemeinderat im November 1871 Wagner kostenlos Baugrund für sein Theater zur Verfügung stellt. Die Wahl fällt schließlich auf den »Grünen Hügel« unterhalb der Bürgerreuth. Am Hofgarten kauft Wagner im folgenden Februar für 12 000 kgl. Gulden ein Grundstück zum Bau eines eigenen Hauses: die Villa »Wahnfried«, die erst 1874 fertiggestellt wird. Bis dahin wohnt er mit seiner Familie nach seinem Abschied von Tribschen zunächst im Hotel Fantaisie in Donndorf westlich von Bayreuth, später in einem großen Haus in der Dammallee 7 im Herzen der Stadt. Im Februar 1872 wird der Verwaltungsrat der Festspiele gegründet, dem Muncker und Feustel angehören. Bau und Betrieb des Festspielhauses sollen – neben einem opulenten Zuschuss von Ludwig II. – durch die Zeichnung von sogenannten »Patronats-Scheinen« fi nanziert werden, welche den Patronen zugleich Plätze für die Festspielaufführungen sichern; eine größere Anzahl von Plätzen aber soll unbemittelten Kunstfreunden kostenlos zur Verfügung stehen (GS X, 14). Geschäftsführer des »Patronats-Vereins« wird der hochbegabte Pianist Karl Tausig – einer der nicht wenigen jüdischen Künstler in Wagners unmittelbarer Umgebung. Als Tausig im Juli 1871 knapp dreißigjährig an Typhus stirbt, ist das auch ein schwerer Schlag für das junge Unternehmen.
    Abb. 27 : Cosima, Siegfried und Richard Wagner, zur Zeit des Umzugs in die Villa Wahnfried, 1874

    Am 22. Mai 1872, an Wagners 59. Geburtstag, fi ndet bei strömendem Regen und aufgeweichtem Lehmboden, in dem die Gäste immer wieder einsinken und ihr Schuhwerk verderben, die Grundsteinlegung des Festspielhauses statt. Die Anreise von über tausend Künstlern und Gästen hatte die kleine, solchem Ansturm nicht gewachsene Stadt vor fast unlösbare logistische Probleme gestellt, die nur mit Hilfe der Feuerwehr und des Bayreuther Turnvereins zu meistern waren. Im Grundstein wurden in einer Blechkapsel ein »Weihegruß« (GS IX, 325) des – abwesenden – Königs und Wagners eigene Verse eingemauert: »Hier schließ’ ich ein Geheimnis ein, / da ruh’ es viele hundert Jahr’: / so lange es verwahrt der Stein, / macht es der Welt sich o ff enbar.« (GS IX, 326) Diese an Goethes späte aphoristische Lyrik – und sein Paradoxon des »o ff enbaren Geheimnisses« – gemahnenden Verse haben kunstfremde Rabulisten bis

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