Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
durch Amphion’s Lyra einen noch nicht verlorenen Sinn habe« (GS IX, 342).
1873 stockt die Finanzierung des Festspielunternehmens. Ende 1872 und wiederum Anfang 1873 war Wagner – zum letzten Mal – durch Deutschland gereist, um Künstler für die Festspiele und neue Finanzmittel zu gewinnen, hatte eine Reihe von Konzerten zugunsten der Festspiele dirigiert – doch die Ausbeute blieb künstlerisch wie fi nanziell mager. Die Bilanz der Reise im November und Dezember 1872, mit einem ziemlich vernichtenden Urteil über den deutschen Opernbetrieb, hat er in seinem Aufsatz Ein Einblick in das heutige deutsche Opernwesen gezogen . Die Zeichnung der »Patronats-Scheine« verläuft schleppend. Das Richtfest am 2. August 1873 fi ndet in gedrückter Stimmung statt, da die Fertigstellung des Festspielhauses immer unwahrscheinlicher wird, und am 30. August muss Wagner die Verschiebung der Festspiele auf 1875 bekanntgeben, obwohl die inzwischen gegründeten »Wagner-Vereine« an das nationale Kunstgewissen appellieren. Nietzsche verfasst einen Mahnruf an die Deutschen , einen Aufruf zugunsten Bayreuths, den er im Oktober 1873 den Delegierten der Patronatsvereine in Bayreuth vorlegt. Die »kühne Sprache« dieses Appells (Cosima, 31. Oktober; NW 1187), der die Tendenzen der bestehenden Kulturwelt emphatisch in Frage stellt und zum Zwecke ihrer Überwindung dazu aufruft, »mit allen Kräften eine grosse Kunstthat des deutschen Genius zu unterstützen« (NW 636), irritiert die Delegierten jedoch. Aus Gründen diplomatischer Klugheit lehnt die Versammlung die Unterzeichnung des Mahnrufs ab.
Abb. 29 : Richtfest des Bayreuther Festspielhauses am 2. August 1873
Am 9. Januar 1874 teilt Wagner Ludwig II. das endgültige Scheitern des Festspielprojektes mit. Der aus mancherlei Gründen gekränkte König, lange nicht bereit, die ihm ohnehin fremde Idee der Bayreuther Festspiele zu unterstützen (noch im November 1873 hatte Wagner vergeblich versucht, ihn zu einer Garantie für das Festspielunternehmen zu bewegen), besinnt sich schließlich doch eines anderen und teilt Wagner am 25. Januar mit: »Nein! Nein und wieder nein! So soll es nicht enden; es muß da geholfen werden! Es darf Unser Plan nicht scheitern!« (LW III, 29). Er bewilligt einen Kredit über 100 000 Taler, mit dem das Festspielhaus fertiggestellt werden kann. Allerdings müssen Wagner und seine Erben den Kredit aus dem Etat der Festspiele über viele Jahre hinweg zurückzahlen. Damit ist auch das Ideal eines entgeltfreien Zugangs zu den Festspielen gescheitert, da zur Kredittilgung nunmehr ein Kartenverkauf unumgänglich wird. Auch der ins Stocken geratene Bau von Wagners Wohnhaus kann aufgrund eines Geschenks von Ludwig II. (25 000 Taler) vollendet werden. Am 28. April 1874 zieht Wagner mit seiner Familie in »Wahnfried« ein.
Am 21. November 1874 beendet Wagner mit den Worten »Vollendet in Wahnfried, ich sage nichts weiter!!« die Partiturreinschrift der Götterdämmerung und damit den gesamten Ring des Nibelungen , über sechsundzwanzig Jahre nach dessen Beginn. Im Sommer 1874 und 1875 fi nden Ring- Proben in Bayreuth statt, während unter Hochdruck an der Fertigstellung des Festspielhauses gearbeitet wird, dessen Erö ff nung nun de fi nitiv 1876 statt fi nden soll. Doch Wagner kann sich nicht auf die Arbeit in Bayreuth konzentrieren, sondern um der Finanzierung der Festspiele willen dirigiert er – in bedrohlicher Überforderung seiner Kräfte – Konzerte in Wien, Berlin und Budapest, studiert Tannhäuser , Lohengrin in Wien (mit Hans Richter als Dirigenten) und die Berliner Erstaufführung des Tristan (in Anwesenheit des Kaiserpaars) ein, komponiert den Großen Festmarsch zur Feier des 100jährigen Jubiläums der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung (WWV 110), ehe dann Anfang Juni 1876 die Bayreuther Proben zu den ersten Festspielen beginnen. Über Wagners exzessive, um jedes szenische und musikalische Detail bekümmerte, von überbordendem Temperament befeuerte Probenarbeit sind wir durch zahlreiche eindrucksvolle Berichte von Augenzeugen genau unterrichtet.
Zwischen dem 13. und 30. August 1876 fi ndet mit zweifacher Wiederholung die erste zyklische Aufführung des Ring unter der Leitung von Hans Richter statt. Nachdem der Landschaftsmaler Josef Ho ff mann es nicht zustande brachte, seine großen Landschaftsentwürfe für die Bühne umzusetzen, hatte Wagner die Bühnenbilder dem Coburger Theateratelier der Brüder Max und Gotthold Brückner
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