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Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Borchmeyer
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heute zu mehr oder weniger absurden Spekulationen veranlasst (bis hin zu der Vermutung, es gehe da um eine ›eingemauerte‹ antisemitische Botschaft). Dabei sind die zitierten Verse das Geheimnis und die Botschaft selber, sagt der zweite der beiden dialogischen Verse im Sinne des Goetheschen Paradoxons doch ausdrücklich: gerade indem der Stein das Geheimnis verwahrt – solange es eingeschlossen bleibt, man es ihm nicht zu entreißen sucht –, macht es sich der Welt o ff enbar: das Geheimnis aller Kunst, das nie vom Verstand zu entschlüsseln und doch o ff enbar, O ff enbarung ist.
    Der Festtag wird am Nachmittag mit der Aufführung von Wagners Kaisermarsch sowie der neunten Symphonie Beethovens im alten Opernhaus gekrönt. In seinem Rückblick auf die Bühnenfestspiele des Jahres 1876 schreibt Wagner, die Aufführung von Beethovens Neunter – deren entscheidender Wiederentdecker er seit seiner Dresdener Zeit gewesen ist und die für ihn mit ihrer Wortwerdung im Finale die große symbolische Brücke von der Symphonie, der großen Tradition der deutschen Instrumentalmusik zum musikalischen Drama bildete – sollte diesem Werk die »Bedeutung des Grundsteines meines eigenen künstlerischen Gebäudes« verleihen (GS X, 104).
    Auch Nietzsche hat in Begleitung von Rohde und Carl von Gersdor ff das Fest der Grundsteinlegung miterlebt. Schon Monate zuvor hatte er die Freunde emphatisch aufgefordert, dieses epochale Ereignis nicht zu versäumen. »Fünfzig Jahre später würden wir es für unverzeihlich, für verrückt halten, nicht dabei gewesen zu sein«, schrieb er Mitte Februar 1872 an Rohde. »Ich beschwöre Dich wirklich bei unserm Allerheiligsten, der Kunst – komme dorthin! Wir müssen dies zusammen erleben, […] denke an mich wie an Einen, der mit einem ungeheuren Schallrohr Dir zuruft: Baireuth!!« (NW 360) Wirklich ist das Fest der Grundsteinlegung ein Meilenstein in Nietzsches Leben gewesen. »Ich glaube doch, es waren die glücklichsten Tage, die ich gehabt habe«, erinnert er sich in einem Brief an Gersdor ff vom 5. April 1873. »Ach, mein Freund, wir wissen, was wir erlebt haben«, schreibt er zuvor, am 3. Juni 1872, an ihn. »Diese heilig ernsten Erinnerungen wird uns Niemand rauben können. Durch sie gefeit und für sie kämpfend müssen wir nun durchs Leben gehen und vor Allem bestrebt sein, in allen unsern Hauptschritten so ernst und kräftig als möglich zu sein, um uns jener großen Erlebnisse und Auszeichnungen würdig zu erweisen.« (NW 369) Später hat er die Bayreuther Festtage immer wieder gegen den für ihn negativen Eindruck der Festspiele vier Jahre danach ausgespielt. Damals waren die »pauci« noch unter sich – später kam die Welt mit ihren gekrönten Häuptern.
    Im Mai 1873 erscheint Wagners Schrift Das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth ; beigegeben sind sechs architektonische Pläne. Sie schließt den neunten Band seiner Gesammelten Schriften und Dichtungen ab. Wieder betont Wagner hier und stets von neuem, dass das Festspielhaus nichts als ein »provisorisches Theater« sein solle (GS IX, 323 u. ö.) – dem »Wesen des deutschen Geistes« gemäß, dessen »äußere Form […] seit Jahrhunderten […] eine provisorische war« (GS IX, 329), eine Idee, die in den von ihm später in den Bayreuther Blättern zusammengestellten Aufzeichnungen Was ist deutsch? (GS X, 36–53) wiederkehren wird. Er verwirft – seine Rede bei der Grundsteinlegung zitierend – die Vorstellung eines »National-Theaters in Bayreuth«, denn: »Wo wäre die ›Nation‹, welche dieses Theater sich errichtete?« (GS IX, 328) Vermutlich eine Reminiszenz an das letzte Stück von Lessings Hamburgischer Dramaturgie , wo es heißt: »Über den gutherzigen Einfall, den Deutschen ein Nationaltheater zu verscha ff en, da wir Deutsche noch keine Nation sind!« Wagners rhetorische Frage musste ein Jahr nach der Reichsgründung eigentlich als Provokation wirken – ebenso wie seine Leugnung des »sogenannten Fortschritts«, von dem man »in unserer Zeit« überzeugt sei, »ohne sich eigentlich wohl klar darüber zu sein, wohin denn fortgeschritten werde, und was es überhaupt mit diesem ›Schreiten‹ und diesem ›Fort‹ für eine Bewandtnis habe« (GS IX, 328 f.).
    Schon beim ersten Aufkeimen der Festspielidee zu Beginn der 1850er Jahre hatte Wagner sich als Festspielstätte einen Ort in der Mitte Deutschlands vorgestellt, in idyllischer Landschaft, fernab von Großstädten oder Kur- und Badeorten, in »einer schönen

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