Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
Ende insistierte: »Verbietet die Zensur den Marseiller Marsch, so mußt Du dazu einen ganz ähnlichen extemporiren. – Ich bitte Dich dringend, beachte, was ich Dir wohlmeinend hier sage! « (SB II, 587) Diese dringende Bitte war indessen in den Wind gesprochen. Wagners Projekt einer Revolutionsoper sollte auf der Sandbank der Reaktion stranden.
Blieb Wagner im Falle der Hohen Braut nur der Librettist einer projektierten Großen Oper, so sah er sich in seinem nächsten Opernplan – wohl ein Produkt des Rigaer Sommers 1838 – auch als Komponisten vor. Es handelt sich um die Spieloper Männerlist größer als Frauenlist oder Die glückliche Bärenfamilie (WWV 48, 1838), das komische Ancien-Regime-Pendant zu der tragischen Revolutionsoper Die hohe Braut . Das Libretto, das einzige, das wir von Wagners unvertonten Opern in abgeschlossener Gestalt und wohl authentischer Abschrift besitzen, ist ein Versuch in der Gattung der Nummernoper mit gesprochenen Dialogen nach Art der Opéra comique und der deutschen Spieloper der Biedermeierzeit. Es geht auf eine Erzählung aus Tausend und eine Nacht zurück, doch verlegte Wagner die Handlung aus Bagdad »in unsere Zeit und modernes Kostüm« (ML 145). Was ihn an dem Sujet gereizt hat, war einmal mehr die Möglichkeit der Adelssatire im Geiste des ›Jungen Deutschland‹. In Mein Leben redet er davon, er habe sich da eine debile Adelsgesellschaft »etwa aus der Elite der adelsstolzesten französischen Emigrés zur Zeit der Revolution bestehend« vorgestellt (ML 145). Erst 1994 ist der bis zur dritten Nummer der Oper reichende Kompositionsentwurf der Glücklichen Bärenfamilie aufgetaucht. Die »Introduction«, eine streng symmetrische Komposition mit Orchestervor- und -nachspiel und einem als Achse zwischen Chor und Soli fungierenden Zwischenspiel, sowie die beiden folgenden Nummern, ein abgeschlossenes Duett und ein abgebrochenes Terzett, weisen unverkennbar auf das Vorbild Rossinis zurück. Ein wirklicher Personalstil Wagners ist kaum zu erkennen. – Das wird sich mit der »Großen tragischen Oper in fünf Akten« Rienzi, der letzte der Tribunen (WWV 49) ändern, deren Libretto Wagner seit dem Sommer 1837 konzipiert und die er im Rigaer Jahr 1838 zu komponieren beginnt. Abgeschlossen wird die Partitur freilich erst im November 1840 in Paris.
Pariser Leben und Leiden – Im Glanz und Elend der Hauptstadt des 19. Jahrhunderts
Am 17. September 1839 tre ff en Richard und Minna Wagner in Paris ein, vermeintlich wohlversehen mit den Empfehlungen von Giacomo Meyerbeer, den Wagner in Boulogne-sur-Mer aufgesucht und dem er die fertigen Teile des Rienzi präsentiert hatte. Doch die großen Pariser Ho ff nungen Wagners sollen sich nicht erfüllen – ebenso wenig wie sechs Jahrzehnte zuvor diejenigen Mozarts. Beide erleben in Paris ihre dunkelste Zeit, beide sehen sich einem übermächtigen Konkurrenten gegenüber, der die Musikszene beherrscht und dem sie sich doch überlegen fühlen: Meyerbeer hier, Gluck da. Meyerbeer hat freilich die Sottisen nicht verdient, die Wagner später gegen ihn richten sollte, hat er doch nach Kräften versucht, den jungen Komponisten, so fremd ihm seine menschliche und künstlerische Eigenart war, zu protegieren, was ihm in Paris zwar misslang, aber in Dresden und Berlin mit den Ur- und Erstaufführungen von Rienzi und Fliegendem Holländer zum Erfolg führte. Doch Wagner hat – mit einer Mischung aus Konkurrenzneid, Ressentiment des lange schlecht Weggekommenen, Scham wegen der Protektion durch den Großkomponisten, den er wiederholt auch um Geld angeschnorrt hat – immer wieder in die Hand gebissen, die ihn fütterte, bis hin zu judenfeindlichen Ausfälligkeiten und der Polemik gegen einen »weit und breit berühmten jüdischen Tonsetzer unserer Tage« (GS V, 81) in seinem Pamphlet Das Judenthum in der Musik (1850), die durch das Verschweigen von Meyerbeers Namen umso gehässiger wirkt. Ob Meyerbeer von dem Judenthum -Aufsatz Notiz genommen hat, ist nicht bekannt, doch von Wagners Polemik gegen seine Opern in Oper und Drama (1850/51) hat er, wie eine Tagebuchaufzeichnung vom 24. November 1851 belegt, sehr wohl und zu seiner moralischen Erschütterung erfahren. Auf der letzten Seite von Mein Leben hat Wagner seine Berufung durch Ludwig II. am 3. Mai 1864 in Stuttgart mit dem Tod Meyerbeers am Tag zuvor in reichlich zynische Verbindung gebracht – ein überdeutliches Zeichen dafür, dass er in ihm einen Nebenbuhler sah, den das Schicksal nun in dem
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