Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
dass Wagner eigentlich nach Paris gehöre, wie seine eminente Resonanz bei den französischen Poeten seit Baudelaire und in der aktuellen Pariser Musikszene bezeuge, mag angesichts von Wagners Hassausbrüchen gegen Paris seltsam klingen. Doch gibt es auch ganz andere Äußerungen von ihm über die französische Metropole. Als Ludwig II. 1867 zur Weltausstellung, die ja auch Wagner noch am Rande miterlebt, nach Paris reisen will, »obwohl jede Faser meines Wesens sich dagegen sträubt, das moderne Babylon, das ich verabscheue, zu besuchen«, wie er Wagner am 12. Juli des Jahres schreibt, antwortet dieser am 18. Juli mit einem grandiosen Porträt dieser »einzigen Stadt«, die immer von neuem seine Teilnahme errege: »Ich habe in so verschiedenen Zeiten dort gelebt, und so wichtige Phasen der Entwickelung meines Verhältnisses zur Welt dort erlebt, dass ich, wenn ich eben von meinem Verhalten zur Welt rede, dieses sich immer auf Erkenntnisse bezieht, welche ich dort am unwiderleglichsten gewann. […] Und das ist wohl natürlich: von derjenigen Richtung, in welcher gegenwärtig die Welt läuft, ist Paris der Culminationspunkt, und alle übrigen Städte sind nur Stationen; es ist das Herz der modernen Civilisation, dahin ihr Blut strömt und von wo es wieder in die Glieder zurück fl iesst.« Paris allein verdanke er die Erkenntnis »der wahren und richtigen Physiognomie der Dinge«, und noch heute ziehe er es »allen Orten der Welt« vor, weil dort in »originaler Gestalt« zum Ausdruck komme, was andernorts nur »Nachahmung« sei; »dort haben sie Alles in der Quintessenz, was sie zu Hause nur in schlechten Destilationen haben; mit Nichts, Nichts von dort kann Europa wetteifern«. Wagner preist zumal das exzellente Niveau der Pariser Theater, von dem man in Deutschland keine Vorstellung habe. Paris sei »der vollständige Ausdruck Unserer Zeit; Gebäude, Anlagen und Einrichtungen sind in voller Harmonie mit unsrer Civilisation, und können als ihr richtiger Repräsentant gelten, so dass aus dem Anblick von Paris im besten Sinne auf die Bedeutung unsrer ganzen modernen Civilisation geschlossen werden kann«. Wenn es eine kulturelle Alternative zu Paris gebe, das einzige, »was sie in Paris nicht er fi nden, und selbst endlich dort nicht einmal nachahmen könnten«, weil es eben den Horizont der modernen Zivilisation radikal sprenge – das sei das »Festtheater und drin die Nibelungen« (SB XIX, 186 f. u. 190 f.). Bayreuth wirft als dialektisches Gegenbild zu Paris seine Schatten voraus.
Revolutionär ohne Volk – Rienzi, der Letzte der Tribunen
Als Wagner am 7. April 1842 Paris verlässt und wenige Tage später in Dresden eintri ff t, kann er sich der Ho ff nung hingeben, dass dort – nicht zuletzt auf Empfehlung seines »schönes Talents« durch den allmächtigen Meyerbeer (dessen Empfehlungsschreiben an den Generalintendanten Lüttichau vom 18. März 1841 sich erhalten hat) – sein Rienzi bald zur Aufführung gelangen wird. Tatsächlich erlebt die »Große tragische Oper in fünf Akten« Rienzi, der Letzte der Tribunen (WWV 49) am 20. Oktober ihre triumphale Uraufführung im Königlich Sächsischen Hoftheater unter dem Dirigenten Carl Gottlieb Reißiger, mit Josef Tichatschek als Rienzi und Wilhelmine Schröder-Devrient in der Hosenrolle des Adriano. Die über sechs Stunden bis nach Mitternacht dauernde Aufführung bedeutet für Wagner den lange ersehnten Durchbruch. Wie im Falle der Hohen Braut bildet ein historischer Roman die Sto ff grundlage: der im Untertitel der Oper genannte »gleichnamige Roman von Edward Bulwer-Lytton« ( Rienz i – The Last of the Roman Tribunes , London 1835), den Wagner 1837 in einer der beiden im Jahr zuvor erschienenen Übersetzungen gelesen hat. In unmittelbarem Anschluss an die Lektüre entsteht die erste Prosaskizze der Handlung, welcher 1838 der ausführliche Prosaentwurf und das Textbuch folgen. Anders als bei der Hohen Braut – die er o ff enkundig nur im Falle eines Auftrags der Grand Opéra vertonen wollte – fasste Wagner bei Rienzi von vornherein die Komposition ins Auge, wie die Notenskizzen in der Erstschrift des Librettos zeigen. Bereits einen Tag nach dem Abschluss des Textbuchs beginnt er mit der Vertonung, die er im November 1840 in Paris beendet.
Rienzi ist das einzige von Wagner zu Ende geführte Experiment mit der »großen Oper«, deren »scenische und musikalische Pracht« sowie »e ff ektreiche, musikalisch-massenhafte Leidenschaftlichkeit« er seiner
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