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Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Borchmeyer
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nach Tränen,
Und statt mit Rosen möcht ich mein Haupt
Mit spitzigen Dornen krönen.
    Nicht aus Reue, nicht aufgrund seines Sündenbewusstseins strebt Tannhäuser vom Venusberg fort – erst im allerletzten Moment, bevor er an die Oberwelt gelangt, macht er sich den christlichen Maßstab wieder zu eigen, redet er von Buße und Heil –, sondern weil er seine Vergöttlichung nicht mehr ertragen kann, weil er paradoxerweise an der Leidlosigkeit leidet. Sein erster Ausruf ist jenes überwältigende »Zu viel! Zu viel!« (GS II, 5), mit dem er, gewissermaßen der Mahnung der Sieben Weisen: »ne quid nimis« (»nichts zu viel«) folgend, sich der ›conditio humana‹ bewusst wird.
    War es ihm innerhalb der abgezogenen Emp fi ndungswelt der Wartburggesellschaft verwehrt, zu genießen , so hindert ihn nun der Genuss zu leiden . Beides aber, Leiden wie Genuss in ihrer ganzen Tiefe, ist der Inhalt seines Dichtertums. So hält er Venus entgegen:
    bei dir kann ich nur Sklave werden;
nach Freiheit doch verlange ich,
nach Freiheit, Freiheit dürstet’s mich;
zu Kampf und Streite will ich stehen,
sei’s auch auf Tod und Untergehen (GS II, 9).
    Was sich in den Vorpariser Fassungen schon andeutet, tritt in der
Pariser Neubearbeitung der Venusbergszene deutlich zutage: Tannhäuser ist ein Geistesbruder des Fliegenden Holländers. Beide leiden an der Endlosigkeit ihres Daseins, am Nicht-sterben-Können. Tannhäuser: »O Göttin, woll’ es fassen, / mich drängt es hin zum Tod!« Venus führt ihm nun vor Augen, dass ihm das fürchterliche Schicksal Ahasvers beschieden sein könnte: »Wenn selbst der Tod dich meidet, / ein Grab dir selbst verwehrt?« (GS II, 11)
    Erst im letzten Moment redet Tannhäuser in unverho ff ter christlicher Wendung von »Buße« und ruft: »Mein Heil ruht in Maria!« – womit die Venusberg-Phantasmagorie ebenso plötzlich zusammenbricht wie das Zauberreich Klingsors beim Zeichen des Kreuzes im zweiten Aufzug des Parsifal : »Furchtbarer Schlag. Venus verschwindet.« (GS II, 11) Vor dieser abrupten Wendung behauptete Venus – d. h. die Welt erotisch-ästhetischer Schönheit – ihr apokryphes Recht gegenüber der herrschenden christlichen Wertordnung, ein Recht, das auch Heine in seinem Gedicht Die Götter Griechenlands (1825/26) – einer Kontrafaktur zum gleichnamigen Gedicht von Schiller – den exilierten antiken Göttern zusichert. Besonders deutlich zeigt sich das noch in Wagners Pariser Entwurf der Venusberg-Pantomime (1860), die eine Art Synopse erotischer Mythen der Antike von Diana und Endymion über die Entführung Europas bis hin zur Begattung Ledas durch den Schwan darstellt. Zudem schildert die Pantomime – erstaunlich auf Nietzsche vorausweisend – einen dionysischen Festzug mit allen dazugehörigen Requisiten und mythologischen Personen, der in die apollinische Welt des Venushofes eindringt. Christliche Wertmaßstäbe bleiben da völlig außer Kraft gesetzt.
    Auch von Heinrich Heine gibt es übrigens eine in Paris entstandene Venusberg-Pantomime, die Wagner möglicherweise gekannt hat. Sie ist Teil des Tanzpoems Die Göttin Diana , das Heine mit dem Zusatz »Nachtrag zu den Göttern im Exil« im ersten Band seiner Vermischten Schriften (Hamburg 1854) verö ff entlicht hat. In einer »Vorbemerkung« stellt er fest, die Fabel seiner Pantomime sei »im wesentlichen bereits im dritten Teile meines Salon enthalten, aus welchem auch mancher Maestro Barthel schon manchen Schoppen Most geholt hat«. Natürlich denkt Heine hier an den Essay Elementargeister , und dass mit dem »Maestro Barthel« vor allem Richard Wagner gemeint ist, liegt nahe, da der gleiche Band der Vermischten Schriften das satirische Gedicht Jungkaterverein für Poesie-Musik enthält, das auf Liszt und (mittelbar) auf Wagner gemünzt ist. Die inhaltlichen Parallelen zwischen Wagners und Heines Pantomimen sind jedenfalls auffallend.
    Aber nicht nur das; auch in ihrer Ästhetik der Tanzkunst kommen sich beide in einem wesentlichen Punkt recht nahe. Wenn Heine beim Entwurf seines Tanzpoems an »alte Vasen und Basreliefs« erinnert, ja sich »die verbotensten Tänze der Neuzeit« zum Vorbild nimmt – eine Anspielung zumal auf den Cancan in Paris –, sprengt er den Rahmen des Balletts seiner Zeit ebenso wie Wagner, der bei seiner Pariser Venusberg-Pantomime ebenfalls antike Tanzdarstellungen vor Augen hatte, die natürlich auf der Bühne seiner Zeit schlechterdings nicht realisierbar waren. »Ich forderte Unerhörtes, vom

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